ursprünglich erschienen: 20.07.2015
Auf der einen Seite werden Berge an Produkten wegen Überproduktion weggeschmissen, auf der anderen Seite gibt es leider nach wie vor zu viele Menschen, die sich kein Shampoo, keine Zahnbürste oder keinen Pullover leisten können. Wie können diese zwei Probleme in eine Lösung verwandelt werden?
Geschrieben von Svenja König von innatura - Deutschlands erste Plattform, die fabrikneue Sachspenden an gemeinnützige Organisationen vermittelt.
In Zeiten, in denen es anscheinend vielen in Deutschland „so gut wie lange nicht“ geht, leiden andere unter dem Mangel an genau den Dingen, die anderswo wegen Überproduktion vernichtet werden. Gibt es eine Lösung, die beide Probleme angeht?
Anfang des vergangenen Jahres, im Januar 2014, verkündete die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel im Rahmen einer Regierungserklärung der Großen Koalition: „Deutschland geht es so gut wie lange nicht.“ Und höchstwahrscheinlich geht es den meisten Menschen hierzulande tatsächlich besser als dem Rest der Welt. Dennoch ist längst nicht alles so rosig, wie die Kanzlerin es darstellt.
Laut dem Bericht des Statistischen Bundesamts der Bundesregierung waren im Jahr 2014 16 Prozent der deutschen Bevölkerung (das sind ca. 13 Millionen Menschen) von Armut bedroht. Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. zufolge sind rund 300.000 Menschen ohne Wohnung und die Anzahl der Menschen, die Asyl in Deutschland suchten, ist nach der Statistik des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge im Jahr 2013 im Vergleich zum Vorjahr um 69,8 Prozent gestiegen. Diese Mitmenschen benötigen Unterstützung, ein Dach über dem Kopf, Lebensmittel und Medikamente aber auch Hygiene- und Reinigungsmittel sowie Windeln und Spielzeuge für ihre Kinder und noch vieles mehr, was für ein Leben in Würde und gesellschaftliche Teilhabe notwendig ist.
Wie passt dieser Sachverhalt mit der Tatsache zusammen, dass deutschlandweit jährlich fabrikneue Waren im Wert von mehreren Milliarden Euro vernichtet werden? So unterschiedliche Produkte wie Shampoo, Putzmittel, Zahnbürsten, Bettwäsche, Kinderwagen und Rasenmäher gehen in die Vernichtung, weil sie überschüssig sind, ein fehlbedrucktes Etikett tragen oder ein Logo aufweisen, das eine Farbnuance zu hell ausfällt – und das bei einwandfreier Qualität. Wie gut bedürftige Menschen und die vielen gemeinnützigen Organisationen, die ihnen helfen, diese Produkte gebrauchen könnten, ist leicht vorstellbar – von den offensichtlichen Vorteilen für unsere Umwelt ganz zu schweigen.
Es bedarf offenbar eines Bindegliedes, das die logistische und personelle Lücke um das Einwerben und Verteilen der Spenden schließt, Waren zwischenlagert und sicherstellt, dass diese ausschließlich einem guten Zweck zugeführt werden. Dass dieses Modell nicht rein theoretischer Natur ist, zeigt der Blick nach Großbritannien, wo der britische Thronfolger Prinz Charles 1996 die wohltätige Organisation In Kind Direct gründete. In Kind Direct verfolgt genau dieses Ziel: Überfluss und Bedarf miteinander in Einklang zu bringen. Und der Erfolg gibt der Organisation Recht: Seit der Gründung hat In Kind Direct Waren im Wert von mehr als 130 Millionen Pfund an rund 6.700 gemeinnützige Organisationen weitervermittelt.
In Deutschland besteht bei einigen wenigen Unternehmen die Möglichkeit, dass gemeinnützige Organisationen Überschusswaren direkt vor Ort abholen. Allerdings betrifft dies verständlicherweise in der Regel nur Organisationen, die in der Nähe der Unternehmen ansässig sind und zudem große Mengen abnehmen können. Und längst nicht jedes Unternehmen bietet diesen Service an, da eine solche Abholung auch immer einen gewissen Aufwand bedeutet. Bislang profitierten soziale Einrichtungen hinsichtlich Sachspenden daher in der Regel eher von gebrauchten Gütern, die fabrikneuen Waren indes waren den meisten von ihnen nicht zugänglich. Seit 2013 ist in Deutschland nun eine Schwesterorganisation von In Kind Direct aktiv: Das gemeinnützige Sozialunternehmen innatura erhält Sachspenden von Unternehmen, lagert diese zwischen und gibt die Waren gegen eine geringe Vermittlungsgebühr an in Deutschland ansässige gemeinnützige Organisationen weiter. Erstmalig haben so auch kleine gemeinnützige Organisationen Zugang zu Sachspenden – und das so einfach wie online einkaufen. innatura ist, wie auch die französische Partnerorganisation Dons Solidaires, Teil des grenzübergreifenden Sachspendennetzwerks In Kind Direct International, dessen Schirmherr ebenfalls der Prinz of Wales ist.
Von der Umverteilung profitieren viele Menschen aus den unterschiedlichsten Gesellschafts- und Lebensbereichen, darunter Flüchtlinge, Obdachlose, elternlose Kinder, Suchtkranke, Senioren sowie bedürftige Menschen weltweit. Indem die gemeinnützigen Organisationen, die diese Menschen unterstützen, Zugang zu Sachspenden erhalten, entlasten sie ihre Budgets deutlich. Dadurch ist es ihnen möglich, ihre Arbeit auszuweiten, z.B. Therapieangebote zu erweitern oder Freizeitveranstaltungen zu organisieren. Eine familienanaloge Einrichtung bei Köln, in der Kinder leben, die ihre Herkunftsfamilien verlassen mussten, konnte sich auf diese Weise den Aufbau eines Kinderorchesters leisten, da die freigewordenen Gelder die Anschaffung von Instrumenten ermöglichten. So oder so ähnlich erweitern gemeinnützige Organisationen mithilfe von Sachspenden ihren sozialen Nutzen ebenso wie die Freude, die sie stiften.
Es ist offensichtlich, dass der Wohlstand Deutschlands keineswegs das Wohl der einzelnen Menschen spiegelt, die hier leben. Dass es aber auch immer wieder Menschen und Initiativen gibt, die sich aktiv für eine Verbesserung der Verhältnisse einsetzen, stimmt hoffungsvoll.