Dieser Artikel ist Teil der Interview-Reihe über die Kollegiat*innen des Hertie-Innovationskollegs, welches unter dem Leitthema „Demokratie stärken“ unterschiedliche Projekte fördert. Tina Simon ist seit April 2017 Kollegiatin des HIK und verfolgt seitdem ihr Projekt unter dem Themenfeld "Zukunft der Bildung" – Teachers Impact Lab. Aktuell ist sie außerdem Innovationsmoderatorin der Initiative Neues Lernen und war vor ihrer Projektphase als Ganztagskoordinatorin tätig.
Was willst du mit deinem "Teachers Impact Lab" erreichen?
Ich bin im April mit dem Teachers Impact Lab gestartet. Mein Projekt beschäftigt sich mit den Arbeitsbedingungen und dem Arbeitsalltag von Lehrkräften. Es wird sich immer sehr viel auf die Inhalte gestürzt. Mir geht es mehr darum, die Bedürfnisse der Arbeitnehmer im Schulsystem anzugehen. Das Teachers Impact Lab soll dazu beitragen, dass Lehrkräfte motiviert und begeistert den Herausforderungen ihres Arbeitsalltags begegnen.
Gerade am Anfang meines Projektes habe ich mich sehr viel mit Studien auseinander gesetzt, aber ich versuche auch ein Blick auf den Arbeitsmarkt zu werfen, um zu beobachten, welcher Wandel da gerade stattfindet. Ich habe mich beispielsweise mit dem Konzept „Employer Branding“ beschäftigt und mich gefragt, was das Schulsystem dahingehend verändern kann.
Was muss aus deiner Sicht im deutschen Bildungssystem verändert werden?
Es gibt in dem Bereich von Arbeitsbelastung und Arbeitszeiten von Lehrkräften bereits sehr viel Wissen. Das Problem ist, dass dieses Wissen nicht umgesetzt wird. Wann werden denn politische Entscheidungen im Bildungssystem getroffen? Was braucht es damit dieses Wissen auch zu Veränderungen führt? Die Rahmenbedingungen des Bildungssystems müssen verändert werden. Wer übernimmt die Verantwortung für mich als Arbeitnehmer? Das Ganze ist ein Top-down Problem – Was oben schon fehlt, spürt man auch an der Basis.
Ein weiteres Problem ist, dass 62 % der Lehrkräfte ein erhöhtes Risiko für ein Burn Out haben. Das macht den Beruf nicht gerade attraktiv für junge Leute. Und wenn es weniger junge Leute gibt, die diesen Beruf ausüben wollen, wer übernimmt dann noch die Rolle des Lehrers?
Außerdem: Was passiert, wenn die Digitalisierung stärker zugreift? Was ist, wenn Apple, Amazon und Co ein digitales Bildungssystem auf den Markt bringen und der Staat weiterhin träge ist? Wo schicke ich mein Kind später auf die Schule, wenn dieses parallele digitale System viel eher an die Marktsituation angepasst ist? Der Bildungssektor muss da reagieren und sich stärker mit der Digitalisierung auseinander setzen.
Alle diese Fragen drehen sich um das Bildungssystem. Es sind bereits viele tolle Bildungsinitiativen unterwegs, allerdings passiert da meistens nicht so viel, nachdem die jeweilige Forderung an die Politik gerichtet wurde. So verpufft die Wirkung auf Schulebene oft einfach mit der Zeit. Die ganze Arbeit ist umsonst, weil man es nie schafft Teil des Systems zu werden.
Was hälst du davon, dass die Bildung Ländersache ist?
Es wäre definitiv einfacher, wenn die Bildung Bundessache wäre. So gäbe es einen konkreten Ansprechpartner für Probleme. Jetzt ist immer alles anders in jedem Bundesland. Für mich ist das schon ein echtes Problem. Es wäre einfacher für Deutschland, wenn wir ein Bildungssystem hätten und nicht 16.
Welche konkreten Maßnahmen sind Teil des Teachers Impact Labs?
Das TIL entwickelt innovative Angebote für den optimalen Arbeitsplatz Schule 5.0 und bringt gelingende Beispiele für eine begeisternde Arbeitskultur zum Vorschein. Ein wichtiger Teil davon ist das Expertenforum, welches sich mit der bereits genannten Problemstellung beschäftigt.
Außerdem ist gerade eine Happiness App für Lehrkräfte in Planung. Diese App soll mithilfe des Happiness Research Forschungsinstituts entwickelt werden und soll dazu dienen, Lehrkräfte im Alltag zu begleiten. Lehrer sollen sich auch mit den positiven Dingen in ihrem Alltag beschäftigen und stressige Momente reflektieren: Was war heute gut? Welche Frage beschäftigt mich? Das Ziel ist eine Mindset-Änderung bei Lehrkräften.
Die Message der App soll lauten: Es ist nicht so aussichtslos, wie ihr es es euch ausmalt. Es gibt Lösungen und ihr dürft euch bei eurer Arbeit wohl fühlen.
Viele Lehrer glauben, sie können nichts ändern. Das ist aus meiner Sicht ein gesamtgesellschaftliches Problem: Wenn ich Lehrer davon überzeugen kann, dass sie wirklich etwas verändern können, wird sich viel verbessern. Das System wird zusammenbrechen, wenn jeder denkt, dass sich nichts mehr verändern lässt. Wenn mein Job mich nicht motiviert, motiviere ich auch keine Schüler.
Ich versuche gerade ein Bundesland zu finden, welches für Projekte oder Workshops des TIL offen ist. Hessen hat meine Anfrage leider schon abgelehnt, aber ich bin optimistisch, dass andere Bundesländer offener sind. Ich hoffe auf Baden-Württemberg oder auf Rheinland-Pfalz.
Gibt es Dinge, die ohne das Hertie-Innovationskolleg nicht möglich gewesen wären?
Ich könnte das alles nicht machen ohne das Hertie-Innovationskolleg. Eine konkrete Umsetzung neben dem Job wäre einfach nicht möglich gewesen. Ich hatte die Überlegung: Was mache ich mit meinen Fragen und meinen Vorstellungen? Jetzt habe ich die Möglichkeit mir ein ganzes Jahr dafür Zeit zu nehmen. Ich kann forschen, mir Gedanken machen und mit interessanten Leuten in Kontakt kommen. Das Netzwerk und das Know How der Stiftung eröffnet mir viele Möglichkeiten und eine neue Perspektive. Ohne die Stiftung wäre ich auf keinen Fall so weit wie jetzt.
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Die Arbeit mit dem HIK steigert meine Motivation sehr. Die Rückmeldung von anderen Bildungsinitiativen und das tolle Team sind dafür ausschlaggebend. Ich habe ein ganz anderes Standing mit dem Background der Stiftung. Ich kann das Innovationskolleg jedem empfehlen, der sich im Bereich der Demokratiestärkung engagieren möchte. Es ist eine totale Bereicherung, wenn man die Möglichkeit hat, ein Jahr lang seine Idee umzusetzen.
Denkst du, dass du in dieser Zeit etwas erreicht oder verändert hast?
Nach dem halben Jahr Arbeit, sage ich auf jeden Fall „Nein“. Allerdings denke ich, dass sich das ändert, sobald ich anfange, mehr Workshops an Schulen zu geben. Dann würde ich die Frage auf jeden Fall mit „Ja“ beantworten. Vor Kurzem war ich auf dem Schulleitungssymposium und das war eine schöne Erfahrung. Dort habe ich die Leute wirklich erreicht und merke auch, dass ich ein wichtiges Thema anstoße.
In der vorherigen Generation des HIK gab es schon Projekte die fortgeschrittener waren und z.B. schon mit ihrer Vereinsgründung fertig waren. Dieses Jahr haben viele Projekte nur als Idee gestartet. Natürlich braucht es dann viel Zeit, damit die Projekte gut werden. Es muss viel Energie in die Vorbereitung gesteckt werden, damit die Umsetzung nicht halbherzig ist. Beispielsweise fangen Startups meistens sehr schnell an und beginnen die Reflektion erst danach. Ich will schon vorher reflektieren und Stakeholder an Land ziehen, um wirklich einen guten Plan zu haben und den Fokus eher auf die Qualität meines Projektes zu setzen.
Sehr wertvoll am HIK ist auch, dass Scheitern erlaubt ist. Das Projekt muss nicht unbedingt gelauncht werden. Wenn ich an dem Punkt bin, dass ich zugeben muss, dass es die Idee nicht wert ist weiterverfolgt zu werden, dann ist das ok. Es ist viel wert, dass man scheitern darf.
Was machst du nach deiner Zeit bei dem HIK? Geht es weiter mit dem Projekt?
Das hängt davon ab, wie sich mein Projekt im zweiten Halbjahr entwickelt. Ich will eine Lösung finden, damit ich auch weiterhin mein Gehalt über das Teachers Impact Lab erhalte. Vielleicht klappt das, wenn der Plan mit der App funktioniert. Dann könnte das Teachers Impact Lab eine Art Schulberatung und Vernetzungsmöglichkeit mit anderen Initiativen sein. Ich denke, dass die Idee und das Lab bleiben werden. Ich bin sehr motiviert, dass das funktioniert und bin deswegen mit vielen Leuten im Gespräch.
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