Dieser Artikel stammt von der Stiftung für Effektiven Altruismus und erschien ursprünglich hier.
Der Effektive Altruismus ist bereichsneutral: Aus allen Problembereichen soll diejenige Intervention gewählt werden, mit der die größtmögliche positive Wirkung erzielt werden kann. Die dazugehörige Forschung zur Priorisierung verschiedener Problembereiche und konkreter Interventionen ist schwierig, aber gleichzeitig enorm wichtig: Es ist zu erwarten, dass die Unterschiede zwischen verschiedenen Interventionen in Bezug auf Kosteneneffektivität mehrere Größenordnungen umfassen können. Solange noch signifikante Unsicherheit darüber besteht, welches der lohnenswerteste Fokusbereich für effektiv-altruistische Interventionen ist, zahlt es sich aus, in “Meta-Strategien” wie die Förderung der EA-Bewegung und die Priorisierungsforschung [1] zu investieren. Das Ziel dieser Meta-Strategien muss sein, langfristig die meisten Ressourcen in die Bewältigung der wichtigsten Probleme zu lenken.
Die folgenden Kriterien sind hilfreich zur Beurteilung, ob es sich lohnt, Ressourcen in einen bestimmten Problembereich zu investieren:
- Größe eines Problems: Wie vielen Menschen und Tieren kann (wie stark) geholfen werden?
- Schwierigkeit eines Problems: Wie schwierig/einfach ist es, (messbare) Fortschritte zu machen? Wie wahrscheinlich ist es, dass unsere Anstrengung überhaupt eine positive Wirkung haben wird?
- Bekanntheit eines Problems: In welchem Ausmaß arbeiten Experten schon an Lösungsstrategien? Ist das Problem auf dem “Radar” der wichtigen Entscheidungsträger, oder ist es vergleichsweise vernachlässigt und unterfinanziert?
In der globalen EA-Bewegung gibt es (neben den Meta-Strategien, die einen Großteil aller Bemühungen ausmachen) primär drei große Problembereiche, an denen effektive Altruisten/innen direkt arbeiten. Im Folgenden werden sie kurz vorgestellt. Es sollte jedoch betont werden, dass diese Auflistung der Problembereiche nicht vollständig bzw. abschließend ist: Die zentrale EA-Idee ist es ja gerade, für neue Erkenntnisse offen zu bleiben!
1. Weltarmut
Über eine Milliarde Menschen leben in absoluter Armut. Täglich sterben rund 16’000 Kinder an den Folgen. Die Bekämpfung der Weltarmut scheint sehr effektiv, sowohl weil es sich um ein großes Problem handelt, als auch weil es schon einige evidenzbasierte Strategien dazu gibt, wie sich die Situation verbessern lässt. Weil in Entwicklungsländern in manchen Gebieten selbst sehr grundlegende medizinische Versorgung fehlt, können Hilfsorganisationen dort für die gleiche Menge an Geld viel mehr bewirken als in Industrieländern.
Folgende EA-Organisationen spezialisieren sich auf den Bereich der Weltarmutsreduktion:
- GiveWell prüft Hilfsorganisationen auf ihre Kosteneffektivität und gibt Empfehlungen ab für Spender/innen
- Good Ventures finanziert vielversprechende Projekte und arbeitet eng mit GiveWell zusammen
- The Life You Can Save motiviert Personen dazu, regelmäßig einen kleinen Beitrag an effektive Organisationen zu spenden
- Giving What We Can motiviert Leute, regelmäßig 10% ihres Einkommens an effektive Organisationen zu spenden
Einige effektive Altruisten/innen betätigen sich auch politisch: Der Philosoph Thomas Pogge beispielsweise, einer der ersten Unterstützer von Giving What We Can, engagiert sich mit dem Health Impact Fund für eine Systemänderung im Bereich der medizinischen Forschung.
Ein weiteres Beispiel ist das Projekt OpenBorders (und ähnliche Vorschläge), das von einigen effektiven Altruisten/innen unterstützt wird.
2. Tierleid
Starke philosophische Argumente sprechen dafür, dass die Diskriminierung basierend auf der Spezieszugehörigkeit ethisch analog ist zu weithin anerkannten Formen der Diskriminierung wie Rassismus oder Sexismus.
Gleiches Leid zählt gleich stark, egal, ob Menschen oder nichtmenschliche Tiere davon betroffen sind. Etwa 60 Milliarden Landtiere werden jährlich in Tierfabriken unter Bedingungen aufgezogen, von denen die meisten irgendwo zwischen “eher schlecht” bis-und-mit “grausam und katastrophal” liegen. Fische sind es deren über eine Billion, die jährlich von Menschen getötet werden. Insbesondere bei gezüchteten Fischen, die häufig lange in schrecklichen Bedingungen aufwachsen, ist das verursachte Leid sehr hoch. Viele effektive Altruisten/innen sind außerdem der Meinung, dass es wichtig und gut wäre, das Leid zu reduzieren, das Wildtiere in der Natur erfahren.
Für die Reduktion von Tierleid als EA-Priorität spricht, dass das Ausmaß des Problems riesig ist, und dass es durch den verbreiteten Speziesismus der Gesellschaft noch vergleichsweise wenige Menschen gibt, die sich intensiv damit befassen. Es kommt hinzu, dass eine Reduktion des gesellschaftlichen Konsums an Tierprodukten sich auch positiv auf den Welthunger und die drohende globale Klimaerwärmung auswirken würde.
Die folgenden EA-Organisationen spezialisieren sich auf die Reduktion von Tierleid:
- Animal Charity Evaluators (ACE) evaluieren Organisationen, die sich um die Reduktion von Tierleid kümmern.
- Animal Ethics verrichtet Aufklärungsarbeit zu den philosophischen Hintergründen des Antispeziesismus und thematisiert als erste Organisation auch das Leid der Wildtiere.
Wiederum betätigen sich viele effektive Altruisten/innen, die sich um die Reduktion von Tierleid kümmern, auch politisch:
So fördert das EAS-Projekt Sentience Politics beispielsweise die öffentliche Verfügbarkeit pflanzlicher Ernährungsoptionen, und das Projekt New Harvest aus Holland forscht an künstlich gezüchtetem Fleisch, das bedeutend klimaverträglicher als “natürliches” Fleisch und frei von Tierleid sein wird.
3. Zukunft und Zukunftstechnologien
Die weitaus größte Leidquelle in der Welt lässt sich weniger geographisch verordnen, sondern viel eher zeitlich: Wahrscheinlich wird es noch für hunderte Millionen von Jahren empfindungsfähiges Leben geben, auf der Erde und vielleicht auch darüber hinaus. Sofern es Möglichkeiten gibt, den Kurs, auf dem sich die Menschheit und das Leben auf der Erde befindet, langfristig in eine spezifische Richtung zu lenken, scheint es wahrscheinlich, dass die Auswirkungen davon absolut gewaltig wären. Es stellt sich jedoch die Frage, ob wir präzise genug vorhersehen können, wie sich die entfernte Zukunft auf positive Art und Weise beeinflussen lässt.
In der Vergangenheit waren es häufig neue Technologien, die große gesellschaftliche Veränderungen mit sich brachten. Die Industrialisierung ermöglichte die Errichtung von Tierfabriken und richtete somit mehr direktes Leid an, als Menschen es jemals zuvor in der Geschichte getan hatten – und dies, obschon sich die moralischen Werte der Gesellschaft im Vergleich mit früher sehr stark verbessert haben. Wenn sich in Zukunft die Gesamtmenge an empfindungsfähigen Wesen stark erhöht, beispielsweise durch die Erschaffung von künstlichem Bewusstsein auf Computern oder durch eine mögliche Kolonialisierung des Weltalls, dann reicht es nicht aus, wenn unsere moralischen Werte und unsere empirischen Einschätzungen marginal besser werden – beide müssten viel besser werden, um der erhöhten Verantwortung gerecht zu werden.
Die obigen Überlegungen suggerieren, dass es aus einer EA-Perspektive enorm wichtig sein könnte, sich im Bereich zum ethischen Umgang mit (der Erforschung von) Zukunftstechnologien zu engagieren. Aufgrund von Argumenten, die beispielsweise im EAS-Positionspapier zum Thema zusammengefasst sind, gehen viele Effektive Altruisten/innen davon aus, dass die Forschung an der künstlichen Intelligenz (KI) sowohl großes Potenzial wie auch große Gefahren aufweist, und dass es etwas vom altruistisch Wichtigsten überhaupt sein könnte, diese Forschung positiv zu beeinflussen.
Die folgenden EA-Organisationen spezialisieren sich auf die positive Beeinflussung der KI-Forschung:
- Das Machine Intelligence Research Institute (MIRI) erforscht die technischen Grundlagen, um die KI-Technologie ethisch sicher(er) zu machen.
- Das mit der EAS assoziierte Foundational Research Institute (FRI) macht Forschung zur Frage, wo wir (auf langfristige Sicht) das meiste Leid verhindern können.
- Das Future of Humanity Institute (FHI) forscht an wichtigen strategischen Fragen zur Zukunftsentwicklung.
[1] Als Beispiel dient hier die Forschung des mit der EA-Stiftung assoziierten Foundational Research Insititute (FRI), welches sich mit der Frage befasst, wo sich langfristig das meiste Leid verhindern lässt.