ursprünglich erschienen: 30.08.2016
Vielleicht kommt dir diese Situation bekannt vor: Du hast gerade mit deinem neuen Team besprochen, wie ihr euer erstes Projekt angehen wollt. Da du die Ergebnisse protokolliert hast, hast du dich auch bereit erklärt, daraus einen „Plan“ zu entwickeln und sie deinen Kolleginnen zuzuschicken. Motiviert erledigst du deine Aufgabe und bist überzeugt, sehr gute Arbeit gemacht zu haben. Doch dein „Plan“ stößt leider auf wenig Begeisterung: da hatte man etwas ganz anderes erwartet, „so kann man doch nicht zielorientiert arbeiten“ und überhaupt „wieso sind da keine Meilensteine drin?” Offensichtlich hattet ihr ganz unterschiedliche Vorstellungen davon, wie dieser „Plan“ konkret aussehen soll.
Solche Missverständnisse entstehen häufig, besonders dann, wenn Menschen zusammenarbeiten, die sich noch nicht gut kennen und – wie ich sagen würde – noch keine gemeinsame Sprache sprechen. Unter einem „Plan“ kann man sich ganz unterschiedliche Dinge vorstellen, es ist also ein vager Begriff mit verschiedenen Bedeutungen. Vage Begriffe benutzen wir sehr häufig, auch wenn uns das meist gar nicht auffällt. Bitte mal drei deiner Freunde oder Kolleginnen, dir ein „Schloss“ aufzuzeichnen und schau dir die Ergebnisse an. Oder suche nach drei verschiedenen Projekten, die Chancengerechtigkeit fördern, und frage die Mitarbeiter, wie eine Gesellschaft, in der Chancengerechtigkeit herrscht, aussehen würde. Du wirst sicherlich beeindruckende, aber auch sehr unterschiedliche Antworten bekommen. Oft funktioniert das sogar, wenn du drei verschiedene Mitarbeiterinnen derselben Organisation fragst.
Ist das schlimm? Nein, in vielen Fällen nicht. Es gibt gute Gründe, sich vage auszudrücken. Oft ist es gar nicht notwendig, näher zu spezifizieren, was man meint. Zum Beispiel wenn ich meinen Kollegen bitte, mich zurückzurufen, geht oft schon aus dem Kontext hervor, welche Nummer er wählen soll. Manchmal möchte man sich auch gar nicht weiter festlegen, zum Beispiel in einem Gespräch mit einer potenziellen Geldgeberin, in dem man froh ist, mit Ach und Krach einen gemeinsamen Nenner gefunden zu haben. Doch es gibt eben auch Situationen, in denen wir über vage Begriffe stolpern, weil wir unbeabsichtigt Missverständnisse oder Unverständnis erzeugen. Was sind das für Situationen? Und wie kann man mit Ihnen umgehen?
Begriffsarbeit im kritischen Denken
Problematisch sind vage Begriffe dann, wenn es wichtig ist, eine konkrete gemeinsame Vorstellung von dem Konzept zu haben, das man mit diesem Begriff beschreibt. Zum Beispiel wenn Aufgaben wie die Erstellung eines Plans delegiert werden. Aber auch in Strategieplanungsprozessen. Nehmen wir das Beispiel mit der Chancengerechtigkeit: Hier ist es unabdingbar, eine konkrete gemeinsame Vorstellung vom angestrebten Ziel zu haben, um verschiedene Wege, die zu diesem Ziel führen könnten, zu entwickeln und zu beurteilen. Oder auch im noch grundlegenderen Fall: Wenn solche Visionen oder Leitbilder, sprich die Wertvorstellungen einer Organisation, auf der alle Arbeit aufbaut, erst gemeinsam entwickelt werden sollen. Dann sollte man sich sowohl gemeinsam mit den Ideen als auch mit den Wörtern, die diese Ideen kommunizieren sollen, beschäftigen.
Methodentipps: Wortfelder und situative Beispiele
Es sind solche Situationen, in denen kritisches Denken weiterhilft, da es dabei unter anderem um Begriffsarbeit, also die nähere Bestimmung vager Begriffe, geht. Gute Erfahrung in Beratung von Organisation habe ich mit Wortfeldern und situativen Beispielen gemacht. Bei der ersten Methode bläst man den Begriff auf oder lässt ihn explodieren: In einem gemeinsamen Brainstorming werden zunächst alle Synonyme und angrenzenden Wörter gesammelt. Anschließend alle Antonyme, also Wörter mit gegensätzlicher Bedeutung oder Assoziation. So lassen sich die Unterschiede und Grenzen ausloten: In einer anschließenden Reflexion wird schnell klar, dass manche vorgeschlagenen Ausdrücke von anderen gar nicht mit dem Begriff assoziiert werden. Als ich dies das letzte Mal mit dem Begriff “Effizienz” gemacht habe, war sich die Gruppe zum Beispiel uneinig darüber, ob “Entschleunigung” und “Produktivität” angrenzende oder gegensätzliche Wörter zu “Effizienz” sind. Situative Beispiele sind weniger stark an Sprache gebunden. Hier sammelt man Bilder oder Situationen, die den Begriff veranschaulichen, malt sie oder stellt sie nach. So werden die blanken Wörter in einen Kontext gestellt, der die Teilnehmer_innen ganzheitlicher anspricht. Bei “Effizienz” mussten einige Teilnehmende zum Beispiel an einen Containerhafen denken.
Nimmt sich ein Team die Zeit, seine wichtigsten Begriffe näher zu bestimmen, arbeitet es dabei nicht nur am Strategieelement, das gerade entwickelt werden soll, sondern legt dabei auch die Grundlagen einer gemeinsamen Sprache, die einen durch den gesamten Arbeitsalltag begleiten wird. Zugleich entwickelt es sehr nützliches Material für die Kommunikation: Die gesammelten Begriffswolken können zum Beispiel immer wieder herangezogen werden, wenn es darum geht, Texte, Pitches oder sogar Leitsätze zu entwickeln, die mit wenigen Worten ausdrucksstark beschreiben, worum es der Organisation in ihrer Arbeit geht.
Warum kritisches Denken heute wichtig ist – für deine (zukünftige) Organisation und unsere Gesellschaft
Kritisches Denken hat allerdings weit mehr zu bieten als Begriffsarbeit. Wer kritisch denkt, erforscht, wie er/sie wahrnimmt und warum er/sie etwas glaubt oder tut. Kritische Denker_innen haben somit bestimmte Fähigkeiten und eine bestimmte Haltung.
Sie können u.a.:
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entscheidende Fragen und Probleme erkennen sowie klar formulieren
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relevante Informationen finden und auswerten
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gut begründete Schlussfolgerungen ziehen und Entscheidungen treffen
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ihre eigene sowie die Perspektiven ihrer Mitmenschen einnehmen und dabei ihre Konzepte und Annahmen verstehen
Kurzum: Sie sind in der Regel diejenigen, die Zusammenhänge herstellen, Sichtweisen zusammenführen, Komplexität in den Griff bekommen, blinde Flecken aufdecken sowie noch nicht erwogene Alternativen erwägen und prüfen. Dabei sind sie stets bemüht, ihre eigenen Denk- und Handlungsmuster zu verstehen und weiterzuentwickeln.
Auf diesem Weg lernen kritische Denker_innen viel über sich selbst und ihre Mitmenschen, können sowohl Lösungen für akute Herausforderungen entwickeln als auch nachhaltig die Handlungsfähigkeit ihrer Organisation stärken. In einer Welt, in der immer mehr Informationen zur Verfügung stehen und dabei immer schneller und oberflächlicher gedacht, kommuniziert und gehandelt wird und in der es außerdem immer schwieriger wird, die komplexen Zusammenhänge zu verstehen, in denen wir uns täglich bewegen, ist kritisches Denken - sofern es nicht einseitig auf Rationalität fixiert ist, sondern ganzheitlich gedacht wird - eine der wichtigsten grundlegenden Fähigkeiten.
Wie du zur kritischen Denkerin wirst
Die eigenen Denk- und Handlungsmuster zu reflektieren, ist nichts, was man über Nacht erledigt. So ausdauernd wie professionelle Sportler kann man auch seine Wahrnehmungs-, Analyse- und Entscheidungsmechanismen trainieren. Als einen ersten Schritt kannst du dir vornehmen, die vagen Begriffe aufzuspüren, die du häufig benutzt, und öfter nachzuforschen, ob das, was du unter einem vagen Begriff wie “Plan”, “Chancengerechtigkeit” oder “Effizienz” verstehst, mit dem übereinstimmt, was dein Gesprächspartner meint. Das geht auch ohne Wortfelder auf einem Whiteboard. Oft reicht es schon, nach einem Beispiel oder einer Analogie zu fragen. Im Falle des zu entwickelnden Plans hättest du zum Beispiel sicherstellen können, dass ihr euch etwas ähnliches unter diesem Begriff vorstellt, indem du deine Kolleginnen fragst, ob sie dir ein Beispiel zeigen können von einem Plan, mit dem sie normalerweise arbeiten. Oder indem du selbst zunächst einen groben Vorschlag machst und nachfragst, ob das dem entspricht, was sie brauchen. Oft ist sich der Sprechende auch selber noch nicht ganz im Klaren darüber, was genau er meint, und dankbar, von dir zu einem Reflexionsprozess angeregt zu werden.
Wenn du diese Fragen spannend findest oder dir beim Lesen des Textes Herausforderungen eingefallen sind, die du für dich oder deine Organisation mit kritischem Denken angehen möchtest, bist du herzlich eingeladen, an einem meiner Tagestrainings teilzunehmen. Hier behandeln wir eine Auswahl der Methoden, die ich in meiner Arbeit mit Organisationen in den letzten Jahren als besonders hilfreich empfunden habe. Neben der Begriffsarbeit üben wir im ersten Teil, der dem Thema Kommunikation gewidmet ist, das Formulieren von präzisen Fragen und Antworten, was den Kommunikationsaufwand in einem Team deutlich reduzieren kann. Im zweiten Teil gehen wir in die Strategiearbeit und beschäftigen uns mit verschiedenen Möglichkeiten, Informationen auszuwerten, Schlüsse zu ziehen und Entscheidungen zu treffen. Insbesondere wirst du lernen, wie du versteckte Annahmen aufdeckst und somit unvoreingenommener denken kannst. Dabei wenden wir das Gelernte immer wieder gemeinsam auf aktuelle Herausforderungen der Teilnehmenden anwenden. Bring also gerne deine eigenen Fragen und Problemstellungen mit.
Über Maren Drewes
Maren ist Beraterin, Moderatorin und Trainerin, die mit Ansätzen aus dem kritischen Denken Organisationen dabei unterstützt und begleitet, ihre Werte, Leitbilder und Strategien zu entwickeln, um damit langfristig und nachhaltig wirken zu können. Mehr über Marens Arbeit erfährst du unter www.marendrewes.com