Header: Markus Spiske via Unsplash.
Wie stärken wir progressive Politik? Was würde passieren, wenn sich die vielen marginalisierten, politisch unterrepräsentierten Gruppen solidarisieren und gemeinsam ihre Stimme erheben? Wie bekommt man in einem Wahlkampfjahr, das von gegenseitigen Vorwürfen und inhaltsleeren Debatten geprägt ist, Antworten auf unangenehme, komplexe aber unausweichliche Zukunftsfragen? Und: warum gibt es keine barrierefreie Wahlorientierung? Diese Fragen trieben uns, die Macher*innen der Progressomaschine, über viele Monate um. Entstanden ist das erste intersektionale und barrierefreie Wahltool, prall gefüllt mit Forderungen aus unterrepräsentierten Gruppen der Zivilgesellschaft. Eine Wahlentscheidungshilfe, die nicht nur fundierte und differenzierte Orientierung zu den politischen Positionen der Parteien bietet, sondern dabei auch ganz nebenbei das Mehrheits-Minderheits-Paradoxon aufdeckt.
Zu Beginn des Wahljahres 2021 fragen sich viele, wie es weitergehen wird nach der langen und teils etwas bequemen Ära Merkel, während die Corona Pandemie und der Klimawandel die großen Probleme unserer Gesellschaft und die gewaltigen Herausforderungen, die in der Zukunft auf uns zukommen schonungslos offenlegen.
Wir, Lena Frank, (Projektmanagerin und Inklusionscoach) Kübra Gümüsay (Autorin und Aktivistin) und Jeannette Gusko (future_s, 3te Generation Ost), kommen November 2020 ins Gespräch und merken schnell, dass wir uns nicht nur sehr ähnliche Fragen stellen, sondern auch, dass wir die gleichen Überzeugungen teilen: Es braucht eine Allianz der Marginalisierten und ihrer Verbündeten, um ihre Forderungen in der politischen Debatte sichtbar zu machen. Es braucht eine Wahlentscheidungshilfe, die zu ihren Themen Orientierung bei der Bundestagswahl bietet. Eine intersektionale Bündelung der Forderungen, um der Komplexität unserer Gegenwart und Zukunft gerecht zu werden und um aufzuzeigen, dass es sich bei den Forderungen nicht um die Einzelinteressen kleiner Gruppen handelt. Und es braucht ein barrierefreies Format, um politische Teilhabe für alle möglich zu machen.
Begeistert von der Idee formt sich schnell ein Team von rund 20 Aktivist*innen zusammen, die sich ehrenamtlich dem Projekt widmen und mehr als 50 zivilgesellschaftliche Organisationen für das Projekt gewinnen. Und so entsteht im Sommer 2021 die Progressomaschine, die vor allem eins will: Dampf machen für eine progressive Politik.
In der Zusammenarbeit mit den zivilgesellschaftlichen Organisation entstehen über hundert drängende Forderungen zu 13 wichtigen Zukunfts- und Gerechtigkeitsbereichen. Es werden 8 Forderungen je Themenbereich in Form von Wahlprüfsteinen an die Parteien geschickt. Nach intensiven Auseinandersetzung mit den politischen Parteien und ihren Wahlprogrammen werden letztendlich 33 Thesen für das Wahlentscheidungstool ausgesucht. Die Entscheidung fiel schwer: Denn jede einzelne These ist relevant für die Zukunft unserer Gesellschaft.
Das Logo der Progressomaschine – draufklicken und los geht's!
Seit dem 6. September ist sie nun online: Ein Wahltool mit klarer Haltung, das die Parteien an Fragen nach sozialer Gerechtigkeit, LGBTQIA+ Themen, fairer Arbeit, konkreten Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsmaßnahmen, an Klima- Migrations- und Asylpolitik misst. Und hinter dem ein beeindruckendes, intersektionales Bündnis steht: von BUND, über Pro Asyl, Seebrücke, Abilitywatch e.V., zu Brand New Bundestag und den Sozialhelden.
Die Progressomaschine ist ein Wahltool, bei dem die Fragen sich nicht nach den Inhalten der Parteiprogramme richten, sondern von den Betroffenen und ihren Verbündeten selbst formuliert worden sind. Damit ist sie nicht nur Wahlorientierungshilfe, sondern auch ein Forderungskatalog der Zivilgesellschaft. Und auch wenn nicht jede*r jeder Forderung zustimmen mag, so bietet sie eine Vielzahl inspirierender Ansätze, wie unsere Gesellschaft offener, solidarischer und gerechter gestaltet werden könnte. Zur besseren Orientierung finden sich die Antworten und Erläuterungen der Parteien ebenfalls in der Progressomaschine.
Am Ende beweist die Progressomaschine vor allem eines: Es ist ein fataler Fehler, dass so viele Stimmen ungehört und in der Politik unterrepräsentiert sind. Denn die Fragen und Forderungen der Progressomaschine betreffen keineswegs nur einzelne Personengruppen. Gerade diejenigen, die unter den Unzulänglichkeiten und Schwächen unserer Gesellschaft und Politik leiden, haben sehr konkrete Ideen, wie sich die Probleme lösen lassen könnten. Und wer sich einmal in die Maschine begibt wird sehen, dass die Forderungen unser Zusammenleben in der Gesellschaft und die Zukunft eines jeden einzelnen betreffen.
Weiß, männlich, westdeutsch gilt noch immer als Norm – insbesondere in der Parteipolitik. Dabei handelt es sich auch hier um eine Minderheit. Höchste Zeit uns dieses Paradoxon zu verdeutlichen, uns davon zu befreien, den anderen Minderheiten ebenfalls zuzuhören und eine Politik für alle Minderheiten – die zusammen die Mehrheit ausmachen - anzustreben!
Probiert die Progressomaschine hier aus!
to belonging* ist unser nächster Schritt, um das Thema Anti-Diskriminierung neu zu denken und zu handeln. Weg vom Diskurs der Sichtbarkeit von Diversity und Inklusion hin zu einer authentischen und gelebten Zugehörigkeit aller marginalisierten Gruppen. Dies soll zu einem radikalen systemischen Wandel führen im Impact Sektor, von “Macht über” und “Macht für” hin zu “Macht mit”. Diese Serie wird ermöglicht durch die Open Society Foundations.