Wir haben in unserer tbd* Community nach Beiträgen für die Serie "Zukunft der Entwicklungszusammenarbeit" ausgerufen. Besonders beeindruckt hat uns der Beitrag von Christoph May von der Welttierschutzgesellschaft.
Die Entwicklungszusammenarbeit ist kein Auslaufmodell. Es gibt zahlreiche starke Motive, warum sich Staaten, Organisationen und einzelne Personen noch in vielen Jahren für bessere Lebensbedingungen in anderen Staaten einsetzen werden. Dazu zählt an erster Stelle das klassische Motiv des Altruismus. Solange Perspektiven und Ressourcen global weiterhin ungleich verteilt sind, wird die Bereitschaft, sich auch jenseits der eigenen Grenzen zu engagieren, fortbestehen. Zu diesem Antrieb gesellen sich weitere, stärker rational geprägte Motive. Entwicklungszusammenarbeit geschieht zum Beispiel nicht selten aus innenpolitischen Gründen. Es sei das Schlagwort „Bekämpfung von Fluchtursachen“ genannt, das das Handeln vieler Staaten – vor allem im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit – auf lange Sicht hin prägen wird. Nicht zuletzt wird Entwicklungszusammenarbeit weiterhin dazu genutzt werden, um die wirtschaftlichen Verflechtungen mit den Empfängerländern auszuweiten und eigene Interessen zu verfolgen.
In einer Welt, die wirtschaftlich, sozial und kulturell näher zusammenrückt, haben Entscheidungen und Handlungen in einem Teil der Welt massive Auswirkungen auf die Lebenswelten in anderen Erdteilen. Wenn an dieser Stelle von Lebenswelten die Rede ist, soll gemeint sein: die Lebenswelten von Menschen und Tieren, die aus Sicht der Welttierschutzgesellschaft in der Entwicklungszusammenarbeit künftig stärker zusammen bedacht werden müssen. Der Grund dafür ist in einem Land wie Deutschland, wo immer weniger Menschen in der Landwirtschaft arbeiten, erklärungsbedürftig: Noch immer leben Millionen von Menschen weltweit in einer denkbar engen Beziehung zu ihren Tieren – denn ohne sie wäre ihr Auskommen schlichtweg nicht möglich. Ohne Lasten tragende Esel, Karren ziehende Pferde oder milchgebende Ziegen und Kühe stünden diese Menschen, die ohnehin wenig haben, vor dem absoluten Nichts.
Fehlende tiermedizinische Ressourcen
Doch in Entwicklungsländern, wo zum Teil noch mehr als die Hälfte der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig ist, fehlen zumeist die Ressourcen, um eine angemessene tiermedizinische Versorgung zu gewährleisten. Laut Afrikanischer Union stirbt auf dem Kontinent jedes Jahr ein Viertel der Nutztiere an vermeidbaren Krankheiten. Folgen sind enormes Tierleid gepaart mit Einkommensverlusten der Halter, die den Weg aus der Armut noch schwieriger machen. Dieser Zusammenhang, dem die Welttierschutzgesellschaft in zahlreichen Nutztier-Projekten zu begegnen sucht, wird in der Entwicklungszusammenarbeit allgemein aber noch nicht ausreichend gewürdigt.
Unter den geschilderten Umständen wiegt es umso schwerer, wenn die erwähnten globalen Phänomene mit lokalen Auswirkungen hinzukommen. Das lässt sich am Beispiel „Klimawandel“ sehr anschaulich zeigen. Dieser wird zu einem erheblichen Umfang von den Industrienationen verursacht, zeigt allerdings in allen Regionen der Welt seine Auswirkungen. Wenn Dürren und Fluten in immer kürzeren Abständen und immer heftiger eintreten, verblasst die Aussicht auf bessere Lebensbedingungen für Menschen und Tiere rasch. Die Entwicklungszusammenarbeit kann hier einen wichtigen Beitrag leisten, damit die Betroffenen besser vorbereitet sind, die zunehmenden Widrigkeiten zu meistern. Es gilt, neben der unmittelbaren Versorgung Not leidender Tiere auch die Menschen in ihrem Umfeld für einen tiergerechten, nachhaltigen Umgang mit ihnen zu befähigen. Ein umfassender Ansatz der Entwicklungszusammenarbeit beinhaltet aus Sicht der Welttierschutzgesellschaft, dass Projekte und Maßnahmen, z.B. zur Armutsbekämpfung, Menschen und Tiere gleichermaßen in den Blick nehmen.
Mensch-Tier-Zusammenhang noch nicht ausreichend verankert
Mensch und Tier bei den künftigen Aufgaben der Entwicklungszusammenarbeit stärker zusammenzudenken, sollte zu einer zentralen Aufgabe der nächsten Jahre werden. Doch bisher hat es den Anschein, sowohl auf nationaler als auf internationaler Ebene, dass noch viel Überzeugungsarbeit notwendig ist, damit dieser Gedanke sich auch in politisches Handeln verwandelt. So fehlen im aktuellen Etat des Bundesentwicklungsministeriums Maßnahmen zum gezielten Aufbau von Kompetenzen in Sachen Tierschutz und Tiergesundheit gänzlich. Eine Lücke, die es möglichst schnell zu schließen gilt.
Im internationalen Kontext sieht es nicht besser aus. Die Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen geben zwar zahlreiche Impulse, wie eine nachhaltige Zukunft unseres Planeten gestaltet werden kann. Doch obwohl die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele viele Bereiche ansprechen, die eng mit Tiergesundheit und Tierschutz verwoben sind, z.B. Armut, Ernährungssicherheit sowie nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster, wird in keinem der Ziele ein direkter Bezug zu Tierwohl und tierschutzrelevanten Aspekten im jeweiligen Kontext hergestellt.
Mit einer ganzheitlichen Perspektive auf Entwicklungszusammenarbeit, die die Tiere miteinschließt und auf das Expertenwissen der Menschen vor Ort baut, können viele der drängenden Probleme dieses Jahrhunderts besser bewältigt werden. Dafür braucht es allerdings einen Bewusstseinswandel bei den staatlichen wie nichtstaatlichen Akteuren, dass Menschen und Tiere bei Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit gleichermaßen zu berücksichtigen sind. Als Welttierschutzgesellschaft möchten wir einen Beitrag leisten, diesen Wandel herbeizuführen.