ursprünglich erschienen: 27.06.2015
Wir wissen zwar schon, dass gut gemeint, nicht immer gut getan ist. Aber niemand mag so richtig darüber sprechen, was im gemeinnützigen und im öffentlichen Sektor schief läuft. Auch wir haben uns bis jetzt eher zurückgehalten. Wir wollen uns ja gerne auf die spannenden, innovativen Sachen fokussieren, um möglichst viele Menschen fürs große Ganze zu begeistern. Aber da wir den Anspruch haben, Menschen dabei zu helfen Gutes zu tun und zwar richtig, bekommt ab sofort auch kritische Reflexion einen Platz bei tbd*. Dafür konnten wir die Benckiser Stiftung Zukunft als Partner gewinnen. Sie ist bereit, ihre Erfahrungen und Erkenntnisse ganz unverblümt zu teilen.
Dieser Artikel wurde von Philip Scherenberg geschrieben und erschien ursprünglich hier.
Der soziale Sektor wird gemeinhin nicht für besonders innovativ gehalten. Belege für diese Einschätzung lassen sich schnell finden. Es ist zwar besonders in Deutschland ein Jammern auf hohem Niveau – aber es bleibt ein Jammern. Wer schon einmal einen Platz in einer Kindertagesstätte oder im betreuten Wohnen gesucht hat, kann ein Lied davon singen. Andernorts wiederum herrscht unübersichtliches Überangebot, wie etwa in bestimmten Bereichen der Jugendsozialarbeit. Gleichzeitig entwickelt sich im for-profit-Paralleluniversum eine neue Organisationsspezies, deren Mantra „Innovation & Change“ im sozialen Sektor scheinbar ungehört verhallt.
Der Comic oben bezieht sich auf den viel beschworenen Niedergang von Corporate America. Darauf, dass innovative Jung-Unternehmen aus dem Silicon Valley die großen Dow Jones-Konzerne nicht nur angreifen, sondern überholen. Darauf, dass satte, ergraute Manager in Hochhäusern ihre Zeit absitzen und sich auf den Lorbeeren aus vergangenen Tagen ausruhen. Derzeit besonders vom Umbruch „betroffene“ Branchen sind Finanzdienstleistungen, Energie, Gesundheit und Mobilität. In allen Fällen stehen junge Unternehmen in den Startlöchern, welche die alten Geschäftsmodelle und damit die alten Unternehmen gefährden. Sie entwickeln mit neuer Technologie und modernem Marktverständnis Produkte, die entweder besser oder günstiger sind – meistens sind sie beides.
Unglaublich gut erzählte Geschichten (und ein günstiges Kapitalmarktumfeld) führen zu spektakulären Erwartungen an die neuen Ideen. Aus dem ehemals kleinen Kreis der „Unicorns“ – der Einhörner, die man früher so selten gesehen hatte wie ihre Namensgeber: Start-Ups, die mit mehr als 1 Mrd. $ bewertet wurden – wurde längst eine ganze Herde. Inzwischen geht es nicht mehr um die Mrd.-Bewertung, sondern um das Mrd.-Funding, den Betrag des aufgenommenen Start-Kapitals, um einer neuen Idee Leben einzuhauchen.
Diese verrückten Bewertungen sind gewollt und Teil der Business-Kultur. Denn setzen sich die geplanten Innovationen wirklich durch, dann hoffen die etablierten Firmen das noch im richtigen Moment zu realisieren, um rechtzeitig zuschlagen zu können. Nicht vernichtend, aber einverleibend. So gesehen ist diese verrückte Start-Up-Blase längst Teil von Corporate America, nicht zuletzt als Ideen- und Impulsgeber und als üppig ausgestatteter Innovationsmotor.
Doch schnell wieder zurück in unseren sozialen Sektor: Es gibt auch hier viele große etablierte Player, die ihren Job seit Jahrzehnten gut machen – pflichtbewusst, zuverlässig und unaufgeregt. Der pauschale Vorwurf der Innovationsfeindlichkeit ist hier vermutlich nicht viel richtiger oder falscher als gegenüber Corporate America oder der Deutschland AG. Innovation und damit Veränderung sind auch hier erwünscht, häufig aber erst, wenn das Wasser bis zum Hals steht und business-as-usual nicht mehr funktioniert.
Überträgt man die Logik der Jungen, Kleinen und der Großen, Alten in die Funktionsweise des sozialen Sektors, dann müssten sich wohl die Sozialunternehmens-Gründer als die Speerspitze der Innovation verstehen und die etablierte Wohlfahrt diese genau im Blick haben, um sich gegebenenfalls ein Scheibchen vom Innovationskuchen abzuschneiden. Oder gleich den ganzen Kuchen zu übernehmen. Eben im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Eine Übernahme von oder Beteiligung an besonders innovativen Konzepten wäre konsequent. Denn auch hier sollte gelten: Was erwiesener Maßen besser und günstiger geht, sollte zum Standard erhoben werden – und wer sich dem neuen Standard verschließt, wird sich bestenfalls im obigen Comic wiederfinden. In einer Marktwirtschaft regelt das der Markt. Aber wer regelt das in der Sozialwirtschaft?
Es regelt die Sozialwirtschaft selbst. Und ihr innerer Motor wird zuweilen auch durch Funken der Innovation befeuert. Je genauer man schaut, desto häufiger finden sich Belege: So ist etwa das „Büro für soziale Innovationen“ der Diakonie Düsseldorf herauszuheben, das ein Podium für soziale Innovationen bietet, um diese im Wirkungsbereich der Diakonie bekannt zu machen.
Ein weiteres Beispiel ist der Sozialpreis „innovatio“, der durch Caritas und Diakonie vergeben wird. Seit 1998 fördert „innovatio“ konkrete Antworten der Kirchen und der kirchlichen Wohlfahrt auf aktuelle soziale Fragen. Alle 2 Jahre werden 28.000 EUR Preisgeld ausgelobt.
Eine etwas verwegenere Suche nach Weiterbildungsformaten zu Innovation oder Innovationsmanagement bei den Akademien des Paritätischen Gesamtverbands blieb hingegen erfolglos.
Innovationen sind kein Teufelszeug. Sie sind Teil einer dynamischen Wissensgesellschaft, die sich der Weiterentwicklung des Status Quo und der Verbesserung der Lebensverhältnisse aller verpflichtet hat. Als solche sollten die Bedingungen, die zu Innovationen führen, gepflegt und kultiviert werden. Und wenn es dann zu einer wirklichen Innovation kommt, dann sollten die großen Player im sozialen Sektor auch die Möglichkeiten haben, sich daran zu beteiligen. Und zwar nicht nur inhaltlich, sondern auch gesellschaftsrechtlich. M&A im sozialen Sektor… das klingt noch wie Teufel und Beelzebub. Das wird sich aber ändern müssen. Wenn nicht, jammern wir irgendwann alle auf niedrigem Niveau.
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Philip Scherenberg: philip.scherenberg@gmail.com