Neu tut gut. Seit Januar betreut Arzu zusammen mit Hilal eine Gruppe von sechs geflüchteten Afghanen, die im Flüchtlingsheim in Bad Homburg untergebracht sind. Im ersten Artikel haben wir euch die Gruppe vorgestellt, danach haben Arzu und Hilal uns einen Blick hinter die Kulissen gewährt und nun wird es Zeit, dass sich die sechs Jungs auch selber vorstellen dürfen.
Flüchten. Durch die Wüste, durch den Dschungel, wenig Wasser, nicht wissen, wie lange es noch geht und ob es überhaupt geht. Das war für lange Zeit das Leben von Siyar, Ezra, Mahboob, Fardin, Taghi und Israr – sechs Afghanen, die 2015 von ihrem Heimatland nach Deutschland flohen.
Sie über sich
Die sechs Jungs haben sich im Flüchtlingsheim hier in Bad Homburg kennengelernt. Die meisten von ihnen sprechen kein Englisch und kein Deutsch.
Siyar ist 26 Jahre alt, kommt aus Panjshir – in der Nähe von Kabul – und studierte für ein Jahr Informatik, bis er dann für die US Army rekrutiert wurde und dort als Übersetzer und als Sicherheitsbeamter gearbeitet hat, bis er mit einem US Jeep in eine Mine geriet und mit Glück im Unglück mit einer schweren Kopfwunde davonkam.
Reza ist 24 Jahre alt und wuchs in Herat auf, einer Stadt im Osten von Afghanistan. Mit 13 begann er bei verschiedenen Firmen zu arbeiten, übernahm kaufmännische Tätigkeiten und Übersetzungsarbeiten, bis er mit 22 als Englischlehrer beim Justizministerium zu arbeiten begann. In 2015 wurde die Schule allerdings zerstört und Reza verhaftet. Von dort konnte er fliehen und beschloss darauf, Afghanistan zu verlassen.
Taghi ist ebenfalls 24 Jahre alt. Ihn bringt eine tragische Liebesgeschichte nach Deutschland. Er hatte eine langjährige Freundin in Afghanistan, die dann mit ihrem Cousin zwangsverheiratet wurde. Dieser gehörte zu den Kreisen der Taliban und Taghi beschloss darauf, nach Iran zu gehen. Ein Jahr später versuchte er trotz allem zu seiner Geliebten Kontakt aufzunehmen und wurde dabei prompt erwischt. Nun wäre er auch im Iran nicht mehr sicher gewesen und musste fliehen.
Mahboob ist 19 Jahre alt und kommt aus Kunduz, im Norden Afghanistans. Seine Grundschule hat er in Pakistan absolviert, bevor er mit 13 Jahren in Afghanistan als Mechaniker begann zu arbeiten.
Izrar ist 20 und in Kabul selbst aufgewachsen und begann mit 15 beim USAID als Sicherheitsmitarbeiter und Landwirt zu arbeiten, bis er sich dann drei Jahre später zur Flucht nach Deutschland entschloss.
Bleibt noch Fardin, 24 Jahre. Er wuchs in Lugar, südlich von Kabul, auf. Mit 19 begann auch er für die US Army zu arbeiten und war hauptsächlich als Koch und Übersetzer tätig.
Sie über Afghanistan
Über Afghanistan haben die sechs nicht sehr viel zu sagen. Das Land selbst ist sehr schön und hauptsächlich von Wüsten und Gebirgen geprägt. Allerdings ist der Alltag geprägt von Krieg, Bomben, Toten. Es ist schwierig, in solchen Umständen glücklich zu sein, wenn man stets um sein eigenes Leben bangen muss. Und trotzdem sind die sechs alle fest davon überzeugt, dass sie nach Afghanistan zurückkehren, wenn sich die Situation beruhigt hat.
Sie über ihre Flucht
Nur Siyar und Reza erklären sich dazu bereit, über ihre Flucht zu berichten. Beide wählten die selbe Route: Von Afghanistan über den Iran in die Türkei und von dort mit dem Boot in vier Stunden nach Griechenland. Anschliessend ging es über Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland.
Siyar war zwei Monate unterwegs. Während dieser Zeit schlief er kaum, es wurde Tag und Nacht gegangen, durch Wüsten und über Berge, ohne genügend Essen. Nachdem er nach Iran kam, lief er 20 Tage bis in die Türkei und von dort nochmals fünf Tage bis ans Meer. Von dort aus auf einem Boot mit 65 Personen auf die griechische Insel. In Österreich bekamen er und 2000 weitere Flüchtlinge aus Afghanistan Hilfe von der UNO und der Polizei, von da aus ging es dann mit dem Zug nach Deutschland. Danach landete er in einem "Auffangcamp", wo er 45 Tage auf seine Registrierung wartete, bis er nach Bad Homburg geschickt wurde.
Reza berichtet von einer ähnlichen Geschichte, er hingegen verharrte mehrere Tage im Dschungel ohne Essen oder sauberes Wasser. Er berichtet davon, wie schrecklich die Situation im Auffanglager in Griechenland war, in dem ein Menschenleben nichts wert war, Menschenrechte wurden nicht beachtet. "It was shit", sagt er, "I'm sorry that I say that, but it was shit". Als er dann in Deutschland ankam, glaubte er es selber nicht.
Sie über Deutschland
Deutschland ist für die sechs das reine Paradies – nicht sehr überraschend, wenn als Vergleich ein Land im Kriegszustand dient. In Afghanistan war das Denken dominiert von der Zukunft; was passiert als Nächstes, wie lange werde ich hier noch arbeiten können? Wie kann ich das Überleben meiner Familie sichern? Hier in Deutschland bekommen sie zum ersten Mal wirklich die Möglichkeit, sich mit dem Jetzt auseinanderzusetzen. Und das sogar mehr, als sie das eigentlich wollen.
Nichtsdestotrotz ist Deutschland seltsam. Werte, die in Afghanistan nicht sehr hochgehalten werden – wie zum Beispiel Pünktlichkeit - haben hier höchste Priorität. Auch haben die Deutsche seltsame Angewohnheiten. Fasching hat die Truppe nicht ganz begriffen. Was war nochmal der Sinn dahinter sich im Winter zu verkleiden und Konfetti durch die Gegend zu schmeißen? Und mit dem Regen können sie sich immer noch nicht abfinden. Am liebsten gehen sie dann gar nicht raus, nicht verwunderlich, wenn man aus einem Land kommt, bei dem der Niederschlag selten über 80 mm steigt.
Sie fühlen sich auch nicht immer wohl in Deutschland. Nicht unbedingt aufgrund von Vorfällen, sondern weil sie Familie und Freunde vermissen. So stellt man sich dann auch immer wieder gerne die Frage, ob man seine Familie irgendwie nach Deutschland bringen kann. Denn das Leben in Afghanistan ist eintönig. Es gibt eigentlich keine guten Tage, da jeder Tag von Krieg und Tod geprägt ist.
Sie über ihre Integration
Integration ist nicht immer einfach, da stimmen die Jungs uns zu. Die größte Hürde ist dabei die Sprache. Auch wenn sie drei Mal pro Woche zum Deutschunterricht gehen, so glauben sie nicht, dass sie die Sprache innerhalb der nächsten vier Jahre beherrschen werden. Und Alle, die bereits versucht haben arabisch zu lernen, werden wohl zustimmen, dass die Sprachen komplett unterschiedlich sind und dass es ein unglaublicher Aufwand ist allein das Alphabet zu lernen. Das Problem ist aber auch, dass Afghanen keine Zuweisung zum Integrationskurs bekommen. Man kann also nur wirklich Deutsch bei der Arbeit lernen, oder wenn man mit anderen Deutschen in Kontakt kommt. Und der Sprachunterricht ist in ihrem auch nur möglich, weil sich hier mindestens 120 Helfer des DRK für die Integration der Geflüchteten einsetzen. Die jungen Männer haben natürlich einen riesigen Vorteil: ihre Patinnen Arzu und Hilal, die immer wieder versuchen mit ihnen Deutsch zu sprechen. Die zwei hoffen auch, dass die Jungs mehr unter Menschen kommen, sobald sie einen Job finden.
Als sich die Gruppe kennengelernt hat, hätten sie sich erst einfach nur angestarrt, da die Kommunikation hauptsächlich über die Körpersprache lief. Mittlerweile ist es aber so, dass die Gruppe sich in Englisch, Deutsch, Dari, Türkisch und Hand und Fuß unterhält.
Abgesehen von Arzu und Hilal haben die Afghanen aber kaum Kontakt mit Deutschen. Allerdings gibt es gleich neben dem Heim ein Sportzentrum mit verschiedenen Sportmöglichkeiten, die ausgiebig von den sechs genutzt werden. So geht Fardin zum Beispiel jeden Tag ins Judotraining und ab und zu spielen sie alle gemeinsam Beachvolleyball. Auch wurde erst gerade kürzlich ein Beachvolleyballturnier organisiert unter dem Motto „Beachen gegen Rassismus“. Sieben Teams nahmen an diesem Event teil und Geflüchtete und Deutsche lernten sich dabei ein Stückchen besser kennen.
Jedoch bleibt eine große Hürde: Die Arbeitsbewilligung. Obwohl die meisten der Männer schon eine feste Stelle zugesagt bekommen haben, müssen sie dennoch warten. Schon seit drei Wochen warten sie einen Bescheid ab, ob sie in Deutschland arbeiten dürfen oder nicht – und das macht nervös.
Sie über die DRK Patenschaft
Die Patenschaft zwischen den Afghanen und Arzu und Hilal hat ihr Leben verändert. Anstatt den ganzen Tag im Heim zu sitzen und einander zu nerven, können sie tolle Sachen unternehmen. Außerdem lernen sie unglaublich viel über die deutsche Gesellschaft, die Sitten und Geschichte. Die Gruppe ging zum Beispiel zusammen ins KZ, wo sie das erste Mal vom Holocaust hörten, oder sie gingen bowlen – ein Spiel, dass die Jungs vorhin noch nicht kannten. Wenn sie Arzu und Hilal beschreiben müssten, würden sie sie als liebenswert, fürsorglich und perfekt beschreiben. Ob sie lieber ein Mann als Mentor hätten? "Nein, Frauen verstehen Männer besser als Männer sich selbst."
Aber es geht nicht nur darum, dass die Männer tagsüber etwas zu tun haben. Sondern auch darum, dass sie Hilfe bekommen beim CV schreiben, Bewerbungen absenden, deutschen Papierkram zu erledigen und vieles mehr. Denn wer kein Deutsch kann, hat es sehr schwer. Gerade mit deutschen Ämtern.
Sie über ihre Hoffnungen
So wie wir alle, haben auch unsere sechs Protagonisten ihre Träume. Diese sind jedoch meist einiges bescheidener als unsere. Auch wenn Taghi gerne einmal berühmt werden will und der bekannteste Gärtner in Bad Homburg sein will, so will Mahboob unglaublich gerne als Koch arbeiten und das, was er sonst in der Küche des Heims für seine Freunde kocht, gerne auch für andere Leute zaubern. Noch bescheidener sind die Ältesten der Gruppe und bei ihrem Wunsch nicken alle mit: Sie wollen ihre Familie wieder lächeln sehen und wissen, dass es ihnen gut geht.
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Diese Geschichte können wir Ihnen nur Dank der Mitwirkung des Deutschen Roten Kreuz erzählen. Das DRK betreut als Gesamtverband gegenwärtig bundesweit in 369 Notunterkünften rund 30.000 Flüchtlinge. Über 25.000 hauptamtliche und ehrenamtliche DRK-Helfer sind rund um die Uhr im Einsatz, um Bund, Länder und Kommunen zu unterstützen. Ihre Aufgabengebiete sind: Aufnahme, Erste Hilfe, Betreuung, Verpflegung, sanitätsdienstliche Versorgung, Suchdienst und Beratung. Und das in z.T. spontan eingerichteten Notunterkünften oder in eingesetzten Sonderzügen. Darüber hinaus haben sie zahlreiche Beratungs- und Begleitungsangebote, um auch die nachhaltige und erfolgreiche Integration der Flüchtlinge in den Alltag zu ermöglichen. Hier erfährst Du mehr über die Arbeit der DRK im Flüchtlingsbereich.