ursprünglich erschienen: 07.03.2016
Deutschlands insgeheime Hoffnung für eine glücklichen Integration der Geflüchteten und eine gemeinsame Zukunft, liegt nicht etwa in den Händen der Politik und Verwaltungsämter. Nein, da wären nämlich noch all die aktiven und aufopfernder Menschen im Ehrenamt. All jene, die sich über große und kleine Gesten, der Integration Gedanken machen. Und da wären Projekte wie Chancen gestalten, das sich unternehmerisch für Integrationsmaßnahmen und die Zukunft Deutschlands einsetzt. Lars Maertins erzählt uns, wie sich Integration und Chancen aus seiner Sicht gestalten lassen können.
Wann ist „Chancen gestalten“ entstanden und wodurch wurde das Projekt inspiriert?
„Chancen gestalten“ entstand im Februar 2015 unter dem Namen „Wir für Flüchtlinge“, als Reaktion auf das Erstarken von fremdenfeindlichen Bewegungen wie Pegida und aufgrund des generell steigenden Bedarfs an Integrationsmaßnahmen. Um die anhaltende Zahl der in Deutschland ankommenden Geflüchteten in die Gesellschaft zu integrieren, werden vor allem direkte, unkomplizierte und unbürokratische Mittel benötigt. Unser Fokus liegt besonders auf der Integration junger Geflüchteter, zwischen 16 und 30 Jahren, da ihnen schnellstens eine Zukunft und eine Perspektive in Deutschland ermöglicht werden muss. Unserem Konzept liegen Ansätze von ROCK YOUR LIFE! zugrunde. Dabei wurden z.B. Themen wie die Qualifizierung, die sich bei ROCK YOUR LIFE! bewährt haben, übernommen und durch relevante Themen für die Zielgruppe der Geflüchteten ergänzt.
Was bedeutet „Chancen gestalten“ für Euch und Eurem gleichnamigen Projekt?
Zum einen sind wir davon überzeugt, dass die hier ankommenden Menschen eine Chance für Deutschland darstellen – im Hinblick auf potentielle Arbeitskräfte, aber auch im Hinblick auf neue Perspektiven und Ideen, die sie mitbringen. Die erfolgreiche Integration hätte langfristig viele positive Auswirkungen, die Abwendung des drohenden demografischen Wandels wäre nur eine davon. Damit diese Integration tatsächlich erfolgreich ist wollen wir mit den Geflüchteten ihre Chancen gestalten, sie also auf vielfältige Art und Weise begleiten, wie z.B. dabei einen Abschluss zu bekommen, Praktika-, Ausbildungs- oder Uniplätze zu finden, damit sie eine Perspektive für ihre Zukunft haben und ankommen können. Außerdem möchten wir dazu beitragen, dass auch in der Bevölkerung eine positive Stimmung gegenüber den Geflüchteten herrscht. Wir wollen auf lange Sicht eine Gesellschaft gestalten, in der es nur noch BürgerInnen gibt, die in Einklang miteinander leben ohne misstrauisch zu hinterfragen, wer denn woher kommt. Um das zu erreichen sind aber Changes im Denken von vielen sehr wichtig.
Wie geht Ihr in Eurer Arbeit genau vor?
Auf lokaler Ebene haben wir Teams und Vereine, die Eins-zu-Eins Mentoring-
Beziehungen zwischen 16-30-jährigen Geflüchteten und gleichaltrigen Ortsansässigen schaffen. Der Zeitraum entspricht einem Jahr. Betreut werden die Mentoring-Paare von KoordinatorInnen, die durch die Netzwerk Chancen gestalten gUG ausgebildet werden. Jede/r KoordinatorIn, der/die durch uns ausgebildet wurde, ist wiederum in der Lage die MentorInnen in den Themen Umgang mit Traumata, Asylrecht, interkulturelle Kompetenzen und natürlich den Grundbausteinen eines erfolgreichen Mentorings auszubilden. Jede/r ausgebildete Mentoring-KoordinatorIn ist in der Lage nach der Ausbildung bis zu 20 Mentoring-Paare zu betreuen und sogar, wenn es noch keinen Chancen gestalten Standort vor Ort gibt, einen Verein zu gründen. Unsere lokalen Vereine bestehen aus mehreren Teams. Neben dem Mentoring-Team gibt es das Netzwerkteam, welches im Kontakt mit lokalen Unternehmen steht, um Praktika- und Ausbildungsplätze zu organisieren und SponsorInnen zu akquirieren. Das Eventteam organisiert alle vereinsinternen Aktionen, also die Gemeinschaftstreffen von MentorInnen und Mentees, Stammtische für die Vereinsmitglieder etc. Das Team für Politische Bildung regt einen aktiven Bürgerdialog an, indem es z.B. ein Bürgerforum auf regelmäßiger Basis schafft, öffentlichkeitswirksame Aktionen organisiert oder bei Infoständen versucht auf Vorurteile und Bedenken der Bevölkerung einzugehen und zu informieren.
Ihr seid davon überzeugt, dass mangelnde Integration auch stark in Zusammenhang mit Kommunikation steht. Was ist damit gemeint?
Viele Vorurteile und Ängste, gegenüber Geflüchteten in der Bevölkerung, entstehen durch mangelnde oder schlichtweg falsche Informationen, oder das Gefühl vom System übergangen oder vergessen zu werden. Um diesem Problem entgegenzutreten, müsste über das Thema viel schneller und ausgiebiger informiert werden, um eventuelle Bedenken anzuerkennen und wenn möglich aus dem Weg zu räumen. Auf der anderen Seite sollte den ankommenden Menschen auch so schnell wie möglich nahe gebracht werden, was sie in Deutschland erwartet und wie z.B. das Asylverfahren aussieht, oder welchen Prozess sie durchlaufen müssen. Nur durch eine offene und ehrliche Kommunikation mit allen Beteiligten kann Integration langfristig gelingen.
Wie seht Ihr die Entwicklung zum Thema Geflüchtete in Deutschland und was hat das mit Euch zu tun?
Die momentane Entwicklung, einer fremdenfeindlicher Stimmung in Deutschland, ist zwar besorgniserregend, doch man darf nicht vergessen, dass es eine Minderheit ist, die ihren Unmut mit nicht nachvollziehbaren Taten zum Ausdruck bringt. Trotzdem wollen wir dieser Entwicklung entgegenwirken und unser Ideal einer offenen, toleranten und bunten Gesellschaft vertreten. Wir positionieren uns dabei nicht in der politischen Debatte um die Geflüchteten, sondern möchten den Menschen, die schon hier sind beistehen, sie begleiten und dem entstehenden Fremdenhass, durch das Knüpfen von Kontakten zwischen BürgerInnen und Geflüchteten, entgegenwirken.
Wohin möchtet Ihr Euch in Zukunft entwickeln?
Langfristig möchten wir unser Mentoring-Konzept an allen Stellen in Deutschland, in denen es sinnvoll eingebracht werden kann, ins Leben rufen und als Ansprechpartner für Mentoring mit der Zielgruppe geflüchteter Menschen fungieren. In den nächsten Monaten ist die erfolgreiche Etablierung der Standorte Osnabrück, Berlin und Nürnberg unser Ziel. Über die nächste Zeit wollen wir dann weiter daran arbeiten Geflüchtete in den Arbeitsmarkt zu integrieren, unser Netzwerk auszubauen, neue Standorte zu eröffnen und externe PartnerInnen durch Mentoring zu begleiten.
Welche Erfahrungen könnt Ihr mit uns teilen?
Unsere Arbeit wird vor allem durch zwei Erfahrungen geprägt, die wir in unserer Anfangszeit gemacht haben und aus welchen wir zwei Handlungsmaxime abgeleitet haben:
- Wollt ihr euren Impact maximal halten, dann organisiert nicht alles für Geflüchtete, sondern mit ihnen
- Erfindet das Rad nicht immer zwangsweise neu, sondern nutzt erfolgreiche Projekte zur Kooperation und steckt genau die verschiedenen Aufgabenbereiche ab, so vermeidet ihr den Aufbau von Doppelstrukturen.