Social Entrepreneurship eine Stimme geben: Diversicon

Zu gemeinnützig für wirtschaftliche Förderung, zu gewerblich für öffentliche Förderung. Sally Ollech von Diversicon erzählt von den Schwierigkeiten „dazwischen“ zu sein.

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von Maria Anschiz, October 30, 2018
Diversicon

Gemeinwohlfördernd, aber nicht Non-Profit. Gewerblich, aber nicht gewinnorientiert. Wachstum, aber bitte nachhaltiges Wachstum! Sozialunternehmen haben es in Sachen Definition oftmals nicht leicht. Und obwohl sie alle das Ziel haben gesellschaftliche Probleme anzugehen, bekommen sie oftmals bürokratische, persönliche oder politsche Stolpersteine in den Weg gelegt.

„Social Entrepreneurship eine Stimme geben“ ist eine vierteilige Interviewreihe, in der Mitglieder des Social Entrepreneurship Netzwerks Deutschland, kurz SEND, ihr Social Business vorstellen und über ihre Erfahrungen, Herausforderungen und Wünsche als Social Entrepreneurs erzählen. SEND vernetzt Akteur*innen aus dem SocEnt Sektor und setzt sich dafür ein, die politischen Rahmenbedingungen für Social Enterprises in Deutschland zu verbessern.

Im ersten Teil der Interviewreihe stellen wir Sally Ollech vor. Sie ist Mitglied der Geschäftsleitung von Diversicon- ein Sozialunternehmen, welches gegen die hohe Arbeitslosigkeit von Menschen im Autismus-Spektrum ankämpfen möchte.

Erzähl uns von Deinem Social Enterprise.

Ausgangspunkt unserer Arbeit bei Diversicon ist die Herausforderung, dass über 85 % aller Autist*innen nicht im ersten Arbeitsmarkt beschäftigt sind. Viele von ihnen bringen jedoch die notwendigen fachlichen Fähigkeiten und Potentiale für eine Berufstätigkeit mit. Wir möchten die hohe Arbeitslosigkeit von Menschen im Autismus-Spektrum reduzieren. Dies tun wir, indem wir Autist*innen von ihrer beruflichen Orientierungs- über ihre Bewerbungsphase bis in eine Festanstellung hinein begleiten. Zudem möchten wir Arbeitgeber*innen dabei unterstützen, vielfältigere Teams aufzubauen und leben selbst das Motto #verschiedenistnormal.

Unseren gesellschaftlichen Beitrag sehen wir auf drei Ebenen: Autist*innen finden in qualifizierte Arbeit und können dadurch ein selbstbestimmtes und unabhängiges Leben führen. Unternehmen profitieren von den autistischen Fähigkeiten und leben in ihren Teams Diversity & Inklusion. Und nicht zuletzt spart der Staat pro vermittelter Person jährlich knapp 20.000 EUR Transferleistungen ein.

Was sind die größten Herausforderungen gewesen bei der Gründung bzw. Skalierung?

Während des Gründungsjahrs 2017/18 lag die größte Herausforderung für uns in der Finanzierung. Es gibt wesentlich mehr Programme und Möglichkeiten der Wachstumsfinanzierung, wenn einmal der Proof of Concept erbracht ist, d.h. wenn erwiesen ist, dass die Idee fliegt. Es gibt in Deutschland eine Reihe von Programmen, die die Gründung von Unternehmen fördern – leider sind gemeinnützige Organisationen in aller Regel hiervon ausgeschlossen. Die Frühphasen-Finanzierung in der Gründungs- und Aufbauzeit ist daher für gemeinnützige Sozialunternehmen oft herausfordernd.

Die Skalierung steht bei uns noch nicht konkret an. Aktuell pilotieren wir unser Diversicon-Modell zunächst in Berlin/Brandenburg und befinden uns somit noch in der Phase des Proof of Concept. Im Team diskutieren wir bereits Ideen und mögliche Strategien der Skalierung, da uns viele Anfragen aus anderen Regionen erreichen. Zudem würden wir gerne auch in anderen Städten Autist*innen und interessierte Arbeitgeber*innen begleiten. Uns ist es jedoch wichtig zunächst die Abläufe hier in der Pilotregion geschmeidiger werden zu lassen – im ersten Jahr haben wir bereits viele Anpassungen an die Bedürfnisse unserer Zielgruppe und unserer Kundinnen und Kunden vorgenommen.

Inwiefern hast Du bereits staatliche Unterstützung erhalten? Was wünschst Du Dir?

Wir haben mit Diversicon bisher keine staatliche Unterstützung erhalten. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Förderlogik in Deutschland sehr stark in zwei Sphären unterteilt ist: Auf der einen Seite ist die klassische Wirtschaftsförderung angesiedelt, in der wir in der Gründungsphase als gemeinnützige Gesellschaft nicht förderfähig waren. Auf der anderen Seite besteht die öffentliche Förderung einzelner Projekte gemeinnütziger Organisationen. Hier stießen wir mit unserem sozialunternehmerischen Ansatz an vielen Stellen auf Unverständnis. Wir galten schlichtweg als zu unternehmerisch und waren daher nicht förderfähig.

Dabei wird übersehen, dass gemeinnützige Unternehmen in der Gründungsphase ähnliche Aufgaben und einen ähnlichen Investitionsbedarf zu bewältigen haben wie gewerbliche Unternehmen. Sie haben jedoch keinen vergleichbaren Zugang zum Kapitalmarkt. Dies führt dazu, dass sich entweder neue private Finanzierungsformen wie Crowdinvesting herausbilden oder hybride Gesellschaftsstrukturen aus gewerblichen und gemeinnützigen Teilen aufgebaut werden, die den Verwaltungsaufwand und die rechtliche Komplexität erheblich erhöhen. Auch Diversicon befindet sich auf dem Weg zu einer hybriden Gesellschaftsstruktur. Aktuell bündeln wir unsere operative Tätigkeit als Bildungsträger und Personalvermittler in der Diversicon HR GmbH und gründen mit der Diversicon Innovation gGmbH eine 100 %-ige gemeinnützige Tochtergesellschaft, in der wir Aktivitäten zusammenfassen möchten, die entweder einen Projektcharakter haben oder die angestrebte soziale Wirkung im Rahmen der Gemeinnützigkeit sinnvoll unterstützen können, bspw. Sozial- und Teilhabeberatung.

Wir würden uns wünschen, dass das Silo-Denken in „gemeinnützig“ auf der einen und „gewerblich“ auf der anderen Seite sich in eine wirkungsorientierte Förderpolitik von Sozialunternehmen wandeln würde – unabhängig von der Rechtsform.

Wie beurteilst Du den deutschen SocEnt Sektor?

Die gesellschaftlichen Herausforderungen nehmen zu und soziale Innovationen und sozialunternehmerische Lösungen leisten hier zusätzlich zu öffentlichen Angeboten wichtige Lösungsbeiträge. Diese Entwicklung könnte durch ein entsprechendes unterstützendes Umfeld, bspw. durch flexiblere öffentliche Förderprogramme, noch wesentlich stärker begünstigt und wirkungsvoller gefördert werden. Hier stehen wir noch am Anfang. Nichtsdestotrotz wächst und professionalisiert sich der Sektor zunehmend.

Und seit Mitte Oktober hat die Investitionsbank Berlin IBB ihre Wirtschaftsförderprogramme für Unternehmen der „Sozialen Ökonomie“ geöffnet– allerdings lässt diese offene Definition große Deutungsspielräume. Und Sozialunternehmen, deren Geschäftsmodell wesentlich auf staatlichen Leistungen oder Zahlungen der Sozialversicherungsträger beruht, das ist bei Diversicon der Fall, unterliegen weiterhin Beschränkungen, die es dann ggf. im Einzelfall – neben dem Thema der Besicherung – zu prüfen gilt. Dennoch, das ist natürlich ein erster und wichtiger Schritt!

Wir haben es als Gründungsmitglied von SEND begrüßt, dass Social Entrepreneurship in den aktuellen Koalitionsvertrag erneut Eingang gefunden hat. Die Politik erkennt die zunehmend wichtige Rolle von Social Entrepreneurship bei der Lösung aktueller gesellschaftlicher und sozialer Herausforderungen an und stellt in Aussicht Social Entrepreneurship stärker als vorher zu fördern und zu unterstützen. Zu dieser Sichtbarkeit trägt SEND ganz erheblich bei – Happy Birthday und Dank an dieser Stelle!

Allerdings finde ich ebenfalls wichtig, dass weiterhin zwischen Sozialunternehmen und sozialen Organisationen unterschieden wird, denen kein Geschäftsmodell mit eigenen Umsätzen zugrunde liegt. Es gibt Bereiche der Gesellschaft, die nicht monetarisierbar sind und wo der Staat sich nicht gänzlich aus der Verantwortung und Fürsorgepflicht zurückziehen sollte.

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Welche 3 Tipps würdest Du angehenden Social Entrepreneurs geben?

Es ist wichtig das eigene Geschäftsmodell mitsamt der zugrundeliegenden Wirkungskette zu kennen und nach den ersten Rückmeldungen seitens Zielgruppe und des Marktes weiterzuentwickeln – das mag banal klingen, aber hierin liegt ein wichtiger Erfolgsfaktor. Auch Investor*innen und Förderern gegenüber hat man so eine gute Argumentationsbasis.

Darüber hinaus ist es empfehlenswert die Rechtsform in Abhängigkeit der Finanzierungsbedarfe und -optionen zu wählen sowie nach Möglichkeit einen Finanzierungsmix aufzubauen, sodass man eine gewisse Unabhängigkeit erlangt.

Als dritten Punkt empfehle ich einen Schwerpunkt auf den Teamaufbau und einen gemeinsamen Purpose zu legen. Die Frage nach dem Sinn der Tätigkeit gemeinsam zu beantworten trägt ein Team auch durch schwierige Phasen. Mit Diversicon haben wir bereits eine herausfordernde und intensive Zeit durchlebt und ein wesentlicher Erfolgsfaktor war und ist unser Team: Wir alle glauben an die Idee und den Sinn unserer Arbeit und stehen zueinander und hinter unserem gemeinsamen Purpose.

Zur Person:

Sally Ollech gründete im Sommer 2012 querstadtein– Berlin anders sehen, arbeitete parallel an der Schnittstelle von Wirtschaft, Naturschutz und Politik fünf Jahre für BiGC, ein Unternehmensnetzwerk zum Thema Biodiversität und baute anschließend den dezentralen Partnerbereich bei der GemüseAckerdemie mit auf. Aktuell ist Sally Teil der Geschäftsleitung von Diversicon. Zudem arbeitet sie freiberuflich als Coach & Trainerin im Frischluft-Netzwerk.

Hier kannst Du mehr über SEND erfahren und selbst Mitglied werden.