NGOs und Stiftungen: Haben Frauen die gleichen Karrierechancen wie Männer?

Der FAIR SHARE Monitor zeigt, dass Führungspositionen immer noch vorrangig mit Männern besetzt sind und fordert daher einen fairen Anteil von Frauen.

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von Carolin Müller-Bretl & Helene Wolf von FAIR SHARE of Women Leaders, March 11, 2020

In zivilgesellschaftlichen Organisationen sind über 70% der Mitarbeiter*innen Frauen – allerdings sind die Führungspositionen immer noch vorrangig mit Männern besetzt. Dieses Missverhältnis zeigt der FAIR SHARE Monitor auf und fordert einen fairen Anteil von Frauen in Führungspositionen.

Menschenrechte, Armutsbekämpfung und Umweltschutz – zivilgesellschaftliche Organisationen engagieren sich auf vielen Gebieten. Aber immer geht es darum, mit der Arbeit die Welt zum Besseren zu verändern. Daher entscheiden sich auch viele von uns, für eine NGO oder Stiftung zu arbeiten.

Allerdings stellt sich zunehmend die Frage, ob und wie diese Organisationen intern leben, was sie in ihrer Programmarbeit umsetzen und fordern. Ein Mangel an weiblichen Führungskräften steht derzeit leider im Widerspruch zu den Aussagen der meisten Organisationen zu Geschlechtergleichheit und Frauenrechten.

Dies zeigt der erste FAIR SHARE Monitor für Deutschland. der am 3. März 2020 im Vorfeld des Internationalen Frauentags veröffentlicht wurde. Dafür haben wir 83 NGOs und Stiftungen hinsichtlich ihres Frauenanteils in Führungspositionen untersucht. Hier sind die wichtigsten Ergebnisse:

Frauen leisten die Arbeit – Männer entscheiden

Die Arbeit im Sektor wird überwiegend von Frauen geleistet: Ca. 70% der Belegschaften sind Frauen. Diese Zahl spiegelt sich in keinster Weise in den Führungsetagen wider: Nur 33% der Positionen in Geschäftsleitungen und Kontrollgremien sind mit Frauen besetzt.

Nicht einmal 10% der Organisationen räumen Frauen faire Aufstiegschancen ein

Noch immer werden 93% der großen NGOs überwiegend von Männern geführt. Nur drei der von uns untersuchten Organisationen haben einen angemessenen Frauenanteil in den Leitungsgremien. Ein FAIR SHARE, das hieße für uns: mindestens 50% Frauen in Führung oder entsprechend mehr, um den Frauenanteil in der Belegschaft zu repräsentieren. Die deutschen Stiftungen schneiden leider nicht viel besser ab: in etwa 88% haben noch immer vorwiegend Männer das Sagen. 10% von ihnen verzichten komplett auf Frauen auf der Leitungsebene, sowohl in ihrer Geschäftsführung als auch in ihrem Aufsichtsgremium.

Männer haben fast sechsmal bessere Aufstiegschancen

In deutschen Stiftungen und NGOs haben männliche Mitarbeiter derzeit fast 6mal bessere Aufstiegschancen als ihre Kolleginnen. In Einzelfällen ist die Benachteiligung von Frauen sogar um ein Vielfaches höher. Damit ignoriert der Sektor nicht nur den größten Teil seines Talent-Pools, sondern auch das Gleichheitsgebotes des Grundgesetzes.

Organisationen sind (noch) nicht bereit, sich dem Thema zu stellen

Viele Organisationen haben Geschlechtergerechtigkeit intern noch nicht als Zukunftsaufgabe identifiziert. Fast die Hälfte der angesprochenen Organisationen hat auf unsere Anfrage nicht einmal reagiert. Und selbst viele Ansprechpartner*innen, die uns ihre Daten zu Frauen in Führung liefern, sehen derzeit keinen Handlungsbedarf.

Eine Minderheit von Organisationen nimmt Vorreiter-Rolle ein

Aber es gibt positive Ausnahmen: ADRA, Campact, CARE, Islamic Relief, Oxfam, Teach First Deutschland und terre des hommes waren mutig genug, eine Selbstverpflichtung abzugeben, bis spätestens 2030 einen angemessenen Frauenanteil in ihren Führungsgremien zu gewährleisten. Hier haben weitsichtige Geschäftsführungen das Thema zur Priorität gemacht und sich zu Veränderung bekannt.

Deutschland verschläft internationale Entwicklungen

Die Defizite der deutschen Organisationen werden besonders deutlich, wenn man die Daten mit den auch von uns erhobenen internationalen Daten vergleicht. Während in Deutschland nur knapp 10% der Organisationen einen fairen Frauenanteil auf der Führungsebene haben, sind es international fast 50%. Damit ist die Zahl der Organisationen mit einem fairen Frauenanteil international fünfmal so hoch wie in Deutschland. Die Bereitschaft, Geschlechtergerechtigkeit auf die Agenda zu setzen, ist international sogar siebenmal so groß wie hierzulande: dort haben sich bereits 18 Organisationen zu einem fairen Frauenanteil in den Führungspositionen verpflichtet.

Grundsätzlich reicht es aber nicht, nur mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen. Es bedarf darüber hinaus eines grundsätzlichen Umdenkens in Bezug auf die gelebte Führungs- und Organisationskultur. Daher setzen wir uns mit feministischen Führungsansätzen auseinander, die auf Repräsentation, Diversität und kollektiven Entscheidungsprozessen beruhen. Ein erster Schritt wäre der Dialog zwischen Führung und Mitarbeiter*innenschaft, um gemeinsam Herausforderungen für Frauen in Führung zu identifizieren und Veränderungsprozesse anzustoßen. Wie werden welche unterschiedlichen Perspektiven berücksichtigt? Wer trifft welche Entscheidungen? Wo muss Veränderung ansetzen? Dieser Ansatz ist aber nicht nur für Frauen gedacht, die feministische Idee stellt die Gleichbehandlung aller Menschen in den Mittelpunkt, und das spiegelt sich darin wider. Am Ende wird so eine Kultur die Frauen stärken, aber es geht nicht nur darum, dass Frauen etwas für Frauen tun, sondern idealerweise ist das ein Diversitäts- und Führungskulturansatz, der alle miteinschließt und die Arbeit im Sektor für alle verbessert.

About

FAIR SHARE of Women Leaders e.V. setzt sich international für einen fairen Frauenanteil in den Führungsetagen zivilgesellschaftlicher Organisationen ein. Dazu erheben und veröffentlichen wir jährlich die Daten zu Frauen in Führung und fordern den Sektor auf, bis spätestens 2030 Geschlechtergerechtigkeit in ihren Leitungsebenen zu erreichen.

Alle Informationen zu FAIR SHARE of Women Leaders e.V. und dem FAIR SHARE Monitor unter:   https://fairsharewl.org/de/

Carolin Müller-Bretl und Helene Wolf sind Projektmanagerin und Vorstandsvorsitzende von FAIR SHARE of Women Leaders und verantworten die Arbeit des Vereins in Deutschland.