Im Monat März gibt es einen unrühmlichen Aktionstag: den Equal Pay Day. In diesem Jahr am 10. März begangen, markiert er symbolisch den Pay Gap (engl. Lohnlücke), also die Differenz der Bruttogehälter von Frauen im Vergleich zu Männern. Er verdeutlicht anschaulich, was sonst schwer zu greifen ist: geht man vom Durchschnittsverdienst in Deutschland aus, arbeiten Frauen im Jahr 2021 bis zum 10. März “umsonst” im Vergleich zu den Männern. Aus diesem Grund haben wir bei tbd* uns dazu entschlossen, den März ab dem Stichtag zum Equal Pay Month zu deklarieren. Für alle! Mit themenbezogenen Artikeln für unsere Community und Arbeitgeber*innen bekommen ab dem 10. März die Möglichkeit, das gebotene Gehalt in einem eigenen Feld sichtbar zu machen. Denn transparente Löhne sind ein Weg, um dem Pay Gap entgegenzuwirken.
Als Kommunikationsberatung begleitet Wigwam ihre Partner beim Aufbruch in eine gerechtere, ökologische Gesellschaft. Sie erzählen Ihre Geschichten, organisieren Begegnungen und gestalten Kampagnen. Das Wigwam-Team hat sich auf den Weg zu einem transparenten, gerechten und selbstbestimmte Entlohnungsmodell gemacht und gibt uns einen Einblick in diesen Prozess – von Matthias R., Eugen und Gitanjali.
Vielleicht ist es gut mit einem Ergebnis oder einem Fazit zu beginnen, dann wirken die folgenden Ausführungen nicht ganz so verfahren und eng. Kurzum: Wir haben es geschafft. Seit mehr als einem Jahr leben wir als Team mit einem selbst erarbeiteten und transparenten Gehältermodell. Nicht bloß irgendeinem, sondern einem Wunschgehaltsmodell. Wie es dazu kam, was das eigentlich ist und warum es so spannend sein kann, sich gemeinsam als Team mit dem Kern von Herausforderungen auseinanderzusetzen – dazu dieser Einblick im Rahmen der Blogparade zum Thema #NewPay.
Heute können wir sagen: Es war weniger ein Problem vor eineinhalb Jahren aus unserer GmbH eine Genossenschaft zu machen, als aus konventionellen Gehaltsstufen ein transparentes, gerechtes und selbstbestimmtes Entlohnungsmodell. Im Umgang und in den Diskussionen rund um das gute Geld steckt mindestens eine Achterbahn, deren Größe und Geschwindigkeit es immer wieder neu zu erforschen gilt.
Doch wie kam es dazu?
Vor dem Wunschgehaltsmodell hatten wir zunächst ein Stufenmodell, das auf Verantwortung und Erfahrung basierte. Es gab abgestufte Gehälter für Praktikant*in, Trainee, Junior*in, Senior*in und schließlich Geschäftsführung. Was in der Folge hieß: Irgendwann würden die meisten mit steigender Erfahrung in den Senior-Level gehoben und fast alle wären gleichauf. Hallo, Glasdecke!
Spätestens als wir die GmbH in eine Genossenschaft umgewandelt hatten, wollte auch das Gehältermodell angepasst werden. Wir wollten Geld neu denken. Warum? Wir waren plötzlich alle Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen in Personalunion, und zwar jede*r von uns. Die logische Konsequenz: Wenn wir schon gemeinsam wirtschaften, die wichtigsten Entscheidungen gemeinsam treffen und gemeinsam als Genoss*innen auch finanziell die Verantwortung tragen, dann muss volle Transparenz her, was die Finanzen und die Vergütung angeht, so unser eigener Anspruch. Denn nur das schien gerecht zu sein.
Was ist denn nun gerecht?
Doch Gerechtigkeit ist nichts, was für immer in Stein gemeißelt ist, sondern muss ausgefochten und immer wieder neu errungen und hinterfragt werden. Wenn es um gerechte Gehälter geht, gibt es verschiedene Ansätze. Ist es gerecht, wenn nun alle das Gleiche verdienen? Oder wenn diejenigen am meisten bekommen, die am meisten im wirtschaftlichen Sinne leisten? Und was ist mit Aspekten wie Berufserfahrung, Studienabschlüssen, Ausbildungen, Kindern, Pflegefällen in der Familie, persönlichem Lebensstil und und und? Sollte der Arbeitgeber diese Dinge mit mehr Geld unterstützen oder ist es ungerecht, wenn zwar Kinder unterstützt werden, aber beispielsweise Reisen, Spenden oder sonst was nicht? Wie entscheidet man, was „mehr Wert“ hat?
Wir haben also zunächst all diese Fragen diskutiert und wirklich alle möglichen Variablen und Herangehensweisen an Gehältermodellen und Gerechtigkeitsprinzipien durchgespielt. Es entstanden schließlich Tabellen, in denen man pro Zeile Punkte sammeln konnte, um sein Gehalt zu errechnen. Man sollte angeben, ob man einen Bachelor-, Master, keinen oder einen Diplomstudiengang abgeschlossen hat. Es ging um Berufserfahrungen oder Engagement, um Kinder oder zu pflegende Familienangehörige. Doch diese Kategorien und ihre jeweilige Gewichtung waren zu komplex. Irgendwer ist außerdem immer irgendwie rausgefallen. Und wir wollten doch unbedingt ein solidarisches, ein gerechtes System für alle erschaffen und kein unübersichtliches mathematisches Rechenmodell, das den Anspruch hat durch Formeln alle Eventualitäten abzudecken. Und gleichzeitig wollten wir alle auch noch zufrieden sein mit dem Prozess und der Summe auf dem Lohnzettel.
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Hallo aus der Matrix
An einem warmen Sommertag bei einem unserer Teamausflüge, saßen wir mal wieder beisammen und diskutierten die Vor-und Nachteile von verschiedenen in Kleingruppen ausgearbeiteten Modellen. Ein Gefühl wurde für uns immer deutlicher: Unsere Ansprüche wollten nicht zu dem mühsamen Listen-Vergleichs-Modus passen. Wenn wir am Ende zwar alle diese wahnsinnig durchdachte, in alle Richtungen und Ecken abgedeckte und analysierte Tabelle ausgefüllt haben, dann ist die Summe die da pro Person steht zwar gleichberechtigt erarbeitet und dem System entsprechend gerecht und gut verteilt – aber sind wir dann schon automatisch zufrieden mit dem was wir bekommen? Entlohnt uns das dann auch schon entsprechend unseren Vorstellungen und Wünschen?
Matthias schlug vor, dass man doch vielleicht ganz anders anfangen muss. Wie bei der Planung eines Wahlkampfs. Immer schön von hinten und vom Ergebnis aus denken. Zufriedenheit sollte das Ziel sein. Am Ende wollen wir alle schlicht zufrieden sein mit unserem Gehalt. Wir wollen uns mit Geld die Dinge leisten können, die uns wichtig sind. Aber wie bekommen wir nun Zufriedenheit und Gerechtigkeit in eine Form gepresst?
Wenn jeder selbst entscheidet. Denn nur jede*r einzelne weiß am besten, wie viel Gehalt er oder sie sich für was wünscht und mit wie viel er oder sie demnach zufrieden ist. Begeisterung für die Idee eines Wunschgehaltmodells kam auf. Vieler der unvereinbar erscheinenden Faktoren wären damit aufgelöst. Zeitgleich gab es ebenso viele Bedenken und ebenso große Skepsis. „Das kann ja nie funktionieren…“, „Mega, wenn es klappen würde, aber was wäre wenn jemand sich viel zu viel wünscht? Unser verfügbarer Topf ist ja nicht nicht unendlich groß“, „Profitieren wieder nur die Selbstbewussten?“.
Und von diesem Punkt an waren wir in der Matrix gefangen. Blaue oder rote Pille? Es gibt kein zurück.
Wünsch dir was?!
So wie wir uns auch in unseren kreativen Prozessen dazu anhalten Dinge einfach auszuprobieren und nicht von der Angst getrieben zu sein, entschieden wir uns auch in diesem Fall für einen ersten Test. Jeder schrieb sein Wunschgehalt auf ein Post-It und warf diesen in einen Hut. Unser Finanzexperte und Tabellen-Liebhaber nahm sich der Rechnerei an.
Niemals hätten wir gedacht, dass die Summe nur knapp 20% über dem Wert liegt, den wir gerade ohnehin auszahlen und den wir uns leisten können. Die Überraschung und damit einhergehende Euphorie war groß. Was, wenn es doch so einfach sein könnte? Doch dann fing das Chaos erst an. Es folgte eine der intensivsten und spannendsten Diskussionen innerhalb des Wigwams. Welches Ergebnis würde herauskommen, wenn wir alle sehen würden, wer sich wie viel wünscht? Steckt hinter der „Wunschsumme“ eigentlich ein Betrag, den ich unbedingt brauche im Monat, oder ein Wert, den ich gerne mal erreichen möchte? Wünschen sich Frauen eigentlich wirklich weniger als Männer? Bin ich es mir überhaupt Wert eine höhere Summe als das aktuelle Gehalt zuzugestehen? Wie hoch kann ich eigentlich mit meinen Forderungen und Gedanken gehen? Wie finde ich überhaupt meinen ehrlichen Wunsch in mir selbst – losgelöst vom Vergleich?
Wir mussten wirklich nicht lange überlegen, um all diese ersten Fragen zusammenzuschreiben. Wir könnten jeweils auch dazu addieren, wer sie wie formuliert hat. Ob unter Tränen, mit Skepsis oder strahlend. Warum ist das? Wahrscheinlich, weil wir selten so tiefe und wirklich emotional aufgeladene Problemdiskussionen, die an den Kern jedes Einzelnen gehen, führen oder geführt haben. Klar, wir kennen uns im Wigwam sehr gut, haben unsere regelmäßigen Emo-Runden und wir wissen auch ungefähr wer wo wie steht. Aber man spricht einfach so wenig über Geld und Gehälter. Bis dahin.
Nach einer Aufstellung im Raum entlang einer Skala – links für’s Wunschgehalt und rechts dagegen – und der Abfrage eines schwerwiegenden Neins (Veto) entschieden wir uns für die rote Pille.
Eine unendliche Geschichte
Eine Hürde galt es jedoch noch zu nehmen. Nachdem wir von unserem intensiven Teamausflug zurück waren, durften wir unsere Wünsche noch mal in einer für alle einsehbaren Tabelle anpassen. Letztendlich waren wir in der Summe 20% über dem Wert, den wir uns leisten können uns auszuzahlen. Ziehen wir jetzt bei jedem einfach gleich viel ab? Aber was, wenn das bei manchen dazu führen würde, dass sie wirklich gar nicht zufrieden wären. Dann ist es doch auch kein Wunschgehalt mehr? Und wie verteilen wir ein eventuelles „Mehr“? Auch diese Diskussionen hatten es noch mal richtig in sich (wenn ihr es genauer wissen wollt, lest unten beim Punkt „Für Nerds“). Wir waren uns ziemlich schnell einig, dass wir ein Mindestgehalt zusichern möchten, welches bei Teilzeitarbeit entsprechend angepasst wird. Die weitere Verteilung war dann eher ein mathematisches Problem: Ein über die Startgehälter hinausgehendes Budget wurde derart verteilt, dass alle sich prozentual gleich an ihr Wunschgehalt annäherten. Diejenigen, welche also höhere Wunschgehälter geäußert hatten, bekamen zwar mehr. Aber in der Relation kamen alle ihrem Wunschgehalt einen gleichen Schritt näher. Und zwar immer, wenn wir uns mehr leisten können und gemeinsam entscheiden eine Stufe hoch zu wandern.
Um euch nichts vorzuenthalten: Nach einer 4-monatigen Testphase gab es noch einige ungeklärte Fragen (z.B. wie oft und wann darf mein sein Wunschgehalt ändern, brauchen wir Ober-und Untergrenzen) und nicht alle fühlten sich mit dem neuen Wunschgehaltsmodell wohl. Deswegen gründeten wir noch mal eine Gehälter-Arbeitsgruppe, die sich den ungeklärten Fragen annahm, eine umfangreiche Onlinebefragung unter uns Wigwams vornahm und noch mal zwei alternative Modelle ausarbeitete, die jeweils Kompromisse zwischen Wunschgehalt und Modulvarianten darstellten. In diesem Prozess sind noch mal viele Zweifel aufgekommen und unterschiedlichste Argumente wurden gegeneinander abgewogen. Bevor wir uns letztendlich doch für das weitere Bestehen unseres Wunschgehalts entschieden hatten, gab es Momente, in denen dieses doch wieder in unerreichbar erscheinende Ferne rückte.
Und doch, here we are. Wir betrachten das Wunschgehalt als Experiment, welches wir regelmäßig hinterfragen, evaluieren und verbessern möchten.
Die Frage ist nicht, ob beim Geld die Freundschaft aufhört oder nicht. Es ist am Ende auch unwichtig, wie viel oder wie lange wir über das Geld gesprochen haben, auch wenn man das ja sprichwörtlich auch gar nicht tut. Entscheidend ist, dass wir mit dem Thema Gehalt und vielmehr noch mit den Themen Leistung, Engagement, Bedarf, Zufriedenheit, Gerechtigkeit, Überzeugung, Erziehung, Lebensentwürfe, Lebensstile, Vorsorge und Co. mindestens zweihundert Fässer pro Kolleg*in aufgemacht haben, uns besser kennengelernt, weitergebracht und einen wertvollen Diskurs geführt haben.
Genau deswegen sprechen wir vom härtesten Brocken. Der härteste Brocken, den wir im Inneren – also außerhalb unserer Kundenprojekte – bearbeitet haben und weiterhin bearbeiten werden.
Wir schaffen es, uns täglich zu einem Helpdesk zu treffen, wöchentlich ein Stand-Up abzuhalten, monatliche Teamtreffen und drei mal jährlich Strategieausflüge zu meistern – aber wenn es an unsere privaten Vorstellungen und Gedanken zum Geld geht, dann rasten Muster ein, sodass man dann manchmal auch des Treffens müde wird und es wirklich an den Kern geht.
Wir sind wahnsinnig dankbar für diese Teamleistung, für das Verständnis, für das Vertrauen und für die Offenheit, die wir uns allein mit dem Start des Prozesses erlaubt haben. Was wir draus machen? Who knows? Sicher ist nur, dass wir einem harten Gegner mitten in die Augen geschaut haben und trotzdem, oder gerade deswegen sagen können: Ja. Wir haben ein transparentes und gemeinsam erarbeitetes Gehaltsmodell und wir sind stolz drauf.
Für Nerds, die es genauer wissen wollen
Wir arbeiteten letztendlich in Bezug auf den Startpunkt unseres Wunschgehalts (weil wir ja noch 20% über dem lagen, was wir uns leisten können) drei Möglichkeiten aus:
- Wir starten mit unseren aktuellen Gehältern und immer, wenn wir uns mehr leisten können, zahlen wir uns stufenweise mehr aus – bis wir bei unserem Wunschgehalt landen, wobei für jeden der individuelle Wunschgehaltsfaktor über den Prozentsatz entscheidet, denn er oder sie in der Stufe mehr bekommt.
- Jede*r startet mit einem selbst gewählten „Mindestwunschgehalt“.
- Wir starten mit einem gleichen Basis-Gehalt, welches proportional zu unseren Arbeitszeiten errechnet wird, mit der Ausnahme, dass niemand unter sein aktuelles Gehalt fällt.
Wir entschieden uns letztendlich für die dritte Version und trugen unsere Wunschgehälter in eine für alle einsehbare Tabelle ein. In die Spalte A kommt die Wunschsumme, in E das Basisgehalt und in den Spalten dazwischen errechnet eine simple Formel drei Zwischenstufen zum Wunschgehalt, die dann je nach wirtschaftlichem Status des Unternehmens ausgezahlt werden.
Wir starteten mit der Stufe D und sind jetzt hochgewandert zu C. Sprich – wir sind noch zwei Stufen von unserem jeweiligen Wunschgehalt entfernt – verdienen aber zwei Stufen mehr als das Grundeinkommen. Es wird jetzt Leser*innen geben die denken – „Oh, das ist aber wenig“ … oder „Yeah. Gar nicht so übel – gute Idee.“ Und da sind wir dann wieder bei den individuellen Befindlichkeiten angekommen.
Falls ihr euch auch in einem solchen Prozess befindet und/oder noch weitere Fragen habt, schreibt gerne dem Wigwam-Team. Sie freuen sich über Austausch!
#OldieButGoldie Dieser Artikel erschien ursprünglich 2017.