Fliegen und die Umwelt schonen – das muss kein Widerspruch bleiben

Müssen wir die klimaschädliche Wirkung von Flugverkehr wirklich akzeptieren?

Teilen
von Johanna Kühner & Thomas Zimmermann, April 29, 2019
Flugzeug in den Wolken

Wo ist das Problem?

10. Dezember 2018, Berlin. Der Wasserstand der Spree ist so niedrig, dass der Fluss stellenweise rückwärts fließt. Auch wenn es draußen so nass und kühl wie üblich zu sein scheint, hat der Hitzesommer 2018 seine Spuren hinterlassen. Die Landwirtschaft berichtet von über 20% Ernteeinbußen gegenüber dem Vorjahr. Bisher war der globale Klimawandel nur aus der Ferne bekannt, wie etwa Smog-Alarm in Peking oder Hurrikan “Irma” in Florida. Aber eine Dürre in Deutschland – wie konnte das passieren?

Dass wir Menschen selbst dazu beitragen ist mittlerweile klar.

Thomas: “Fliegen ist das größte Manko in meiner persönlichen Klimabilanz bei fussabdruck.de. Ich wohne in Berlin und dem Stereotyp entsprechend: In einer WG mit gleichgesinnten Menschen bezüglich bewusstem Konsum. Wir essen kein Fleisch, fahren nur Fahrrad und Öffentliche, kochen oft regional und saisonal, heizen selten und punktuell. Auf weite Reisen will aber keiner von uns verzichten, die individuelle Entdeckung der Welt ist die größte Errungenschaft dieser Generation.”

Je nach Statistik und Lesart fabriziert der weltweite Verkehr den größten bzw. zweitgrößten negativen Klimaeffekt. Flugverkehr ist der am stärksten wachsende Bereich, bis 2050 soll er sogar für 22% der Erderwärmung verantwortlich sein. Ganz zu schweigen von der lokalen Lärm- und Schadstoffbelastung bei Flughäfen (Beispiel Frankfurt), die nachweislich gesundheitsschädlich sind. Laut dem Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) wächst das Passagieraufkommen jährlich um über 6%, mit Vorreiter Europa. Der internationale Luftfahrtverband IATA behauptet, dass sich bis 2036 die Passagierzahlen weltweit verdoppeln werden, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) spricht gar von einer Verdreifachung bei der Flugfracht. Die Regierung hilft mit: Wusstest du, dass Kerosin von der Energiesteuer und interna­tiona­le Flüge von der Mehrwertsteuer in Deutschland befreit sind?

CO2 “kompensieren” – Der moderne Ablasshandel

Ich träume vom umweltfreundlichen Reisen. Die Betreiber verstehen mich, sie bieten mir bereits Rundum-Sorglos-Pakete an: Sogar Ryanair führt nun die freiwillige Option “CO2-Emissionen ausgleichen”: Ein Häkchen setzen, ein paar Euros mehr und schon ist der Flug “klimaneutral” gebucht. Was auch Bus und Bahn schon länger bieten. Die Option birgt das Versprechen, dass die Emissionen durch Investitionen in klimafreundliche Maßnahmen wie Biogas-Anlagen in Bangladesh ausgeglichen würden. Der Haken an der Sache: Fliegen selbst bleibt klimaschädlich und nimmt weiter zu, weil es nicht mehr als verwerflich gilt. Das Gewissen ist beruhigt – und nichts hat sich gebessert.

Ähnlich steht es mit dem “Emissionshandel”. Seit 2005 müssen besonders energieintensive Unternehmen, wie Kraftwerke, in der EU Zertifikate ersteigern, um eine bestimmte Menge CO2 ausstoßen zu dürfen. Seit 2012 betrifft dies auch alle großen Fluggesellschaften deren Flüge in der EU starten oder landen. Das Konzept ist denkbar einfach: Die Zertifikate werden jedes Jahr knapper und teurer und sollen daher zu Investitionen in emissionsarme Alternativen motivieren. Das Ziel sei, die EU zu “dekarbonisieren”, bis 2030 soll der CO2-Ausstoß 40% niedriger sein als 1990. Tatsächlich ist der Preis pro Tonne Kohlendioxid seit 2005 aber von 30 € auf 8 € gefallen, das Überangebot an Zertifikaten hat zur Entwertung dieser geführt und der motivierende Effekt ist sogar zum Gegenteil verkehrt: Klimaschädlicher Energieverbrauch bzw. -produktion ist somit seit 2012 sogar günstiger für die Unternehmen geworden. Die zuständige EU-Kommission war einsichtig und hat 2015 beschlossen, die Zertifikate bis 2021 stark zu verknappen, um wieder eine Preissteigerung zu bewirken. Tatsächlich hat sich der Preis pro Tonne stark entwickelt, liegt aber aktuell immer noch 10 € unter dem Einstiegswert von 2005. Der Emissionshandel bleibt also vorerst als Instrument der EU-Klimapolitik wirkungslos und reines Spekulationsobjekt. Die Airlines haben es besonders leicht: 85% der CO2-Zertifikate bekommen sie bislang geschenkt, weil nur innereuropäische Flüge gewertet werden. Wozu also umdenken?

An Ideen mangelt es nicht – zwei alternative Technologien

Müssen wir die klimaschädliche Wirkung von Flugverkehr wirklich akzeptieren? Wo bleiben eigentlich die technischen Innovationen? Wir möchten euch hier die beiden vielversprechendsten Konzepte vorstellen: Elektroflieger und synthetisches Kerosin.

E-Mobilität ist aktuell ein starker Trend. Die Innovationshürde im Flugverkehr ist jedoch besonders hoch: Es scheitert am Gewicht. Kerosin als Energieträger ist viel leichter als heutige Batterien, ein herkömmlicher Langstreckenflieger könnte mit dem Gewicht einer entsprechend großen Lithium-Ion-Batterie gar nicht abheben. Im kleinen Maßstab sind elektrische Flüge aber schon gelungen (z.B. 300 km/h mit vier Passagieren – Stichwort: Flugtaxi).

Die konkretesten Pläne für Linienflüge hat hier ausgerechnet die britische Billig-Airline Easyjet. Schon 2019 sollen vollelektrische 9-Sitzer regelmäßig die Strecke Amsterdam–London (357 km) absolvieren. Easyjet arbeitet hier mit dem kalifornischen Startup Wright Electric zusammen und will in naher Zukunft alle Kurzstreckenflüge elektrisch anbieten (auch wenn die Zeitangaben als sehr vage gelten dürften). Konkurrenz macht ihnen Zunum Aero, gefördert durch Airbus. John Holland-Kaye, Chef von Londons Heathrow Airport setzt auf hybrid-elektrische Linienflieger bis 2030 und verspricht ein Jahr lang kostenlose Landung (entspricht ca. 1,1 Mio. €) für den ersten Anbieter, der es schafft.

Neben der Antriebstechnik lässt sich natürlich auch viel beim Kraftstoff innovieren. Die niederländische Airline KLM mischt schon seit 2009 Biokerosin zum Treibstoff auf den Flügen nach Los Angeles, seit Mai auch regelmäßig auf Flügen nach Schweden. Wie auch in der Automobilindustrie kommt hier aber zurecht Kritik an den umweltschädlichen Methoden zur Gewinnung von Kraftstoff auf Basis nachwachsender Rohstoffe auf. Spannender dagegen sind Initiativen zur synthetischen Herstellung von Kerosin.

Seit 2005 forscht das “Bauhaus Luftfahrt” in München an alternativer Luftfahrttechnologie, u.a. gefördert durch Airbus, DLR und den bayerischen Freistaat. Dort wird seit 2011 das Sun-to-Liquid-Verfahren untersucht: Aus Wasser, Kohlendioxid und Solarenergie wird tatsächlich Kerosin gewonnen. 2019 erwarten wir Ergebnisse vom internationalen Pilotprojekt in Madrid. In dieser – zugegebenermaßen eher mittelfristigen – Vision könnte man sogar mit der aktuell existierenden weltweiten Flugzeugflotte quasi klimaneutral operieren. Ebenso in München, an der Technischen Universität, wird mit einer Pilotanlage seit 2016 Kerosin aus Algen gewonnen. Für beide synthetische Verfahren fehlen allerdings noch massentaugliche und preislich konkurrenzfähige Konzepte.

Alle technologischen Alternativen zu beleuchten würde hier den Rahmen sprengen. Viele Konzepte scheitern noch an langen Strecken und den handelsüblichen Passagiermengen. Weniger realistisch für den Massenmarkt aber auch hoch innovativ sind solare Elektroflieger. 2016 gelang erstmals eine Weltumrundung mit zwei Piloten in der “Solar Impulse 2”, nur betrieben mit Solarpanels auf den Tragflächen. Im selben Jahr hob der “HY4” in Stuttgart ab, ein Viersitzer dessen Brennstoffzelle mit flüssigem Wasserstoff betrieben wird. Trotz der vielfach höheren Energiedichtegegenüber Kerosin oder Batterien und der emissionsfreien Herstellung von Wasserstoff ist der nötige Transport unter Hochdruck und Tieftemperatur aber noch zu gefährlich und umständlich.

Eine technische Innovation allein wird keine Abhilfe schaffen. Damit das Wachstum des Flugverkehrs nicht weiter zu wachsenden Emissionen führt, schlägt das Bauhaus Luftfahrt eine Misch-Strategie vor: Aus einer Kombination von Emissionshandel, effizienteren bzw. elektrischen Antrieben und nicht-fossilen Kraftstoffen könnte die geplante Absenkung der Umweltschäden durch den Flugverkehr gelingen. Noch ist der “klassisch-fossile” Flugverkehr aber leider viel zu rentabel, um die Airlines zu den nötigen Investitionen zu motivieren. Die weltweiten Erdölreserven sind zwar begrenzt, aber noch lange nicht erschöpft. Doch die Zeit drängt: Laut den aktuellsten Erkenntnissen des Weltklimarats (IPCC) haben wir noch 12 Jahre, um die globale Erwärmung auf ein moderates Niveau zu begrenzen und eine Eskalation zu verhindern. Was kann die Politik heute dazu beitragen, um klimaschonende Flugtechnik wirtschaftlich attraktiv zu machen?

Das tut die Politik (nicht)

Der aktuelle Koalitionsvertrag sieht die Luftverkehrswirtschaft in der Verantwortung, die klimaschädlichen Emissionen der Branche zu senken. Doch ist das ohne politische Anreize realistisch? Die seit 2011 existierende Ticketsteuer jedenfalls trägt mit 8 € auf EU-Flüge nicht sonderlich wirksam zum Klimaschutz bei. Laut BUNDhaben Fluggesellschaften gegenüber der Bahn auf der Strecke Hamburg-München und zurück einen Steuervorteil von 39 € – pro Passagier! Wie kann das sein? Fluggesellschaften profitieren vom steuerbefreiten Kerosin, einer fehlende Mehrwertsteuer auf internationale Flüge, Staatshilfen sowie Zuschüsse beim Flughafenbau- und Betrieb. Dabei ist eine Besteuerung von Kerosin nach EU-Recht seit 2005 möglich und wurde in den Niederlanden sowie in Norwegen bereits umgesetzt. Eine Studie des Umweltbundesamts zeigt: Auch in Deutschland ist die Einführung dieser Steuer machbar, würde zu rund 400 Millionen Euro Einnahmen im Staatshaushalt für Zukunftsinvestitionen führen und endlich einen fairen Wettbewerb zwischen den Verkehrsmitteln schaffen. Theoretisch. Denn in der Praxis scheitert es an der Verbundenheit des Staates zur Luftfahrtwirtschaft. Von Seiten der Industrie wird bereits darüber geklagt, dass nationale Flüge der Mehrwertsteuer unterliegen. Aus demokratischer Perspektive ist das problematisch: Laut einer Umfrage des VCDhalten es 78% der Deutschen falsch, Kerosin nicht zu besteuern. Sollte das nicht ein deutliches Zeichen für die Bundesregierung sein? Man könnte fast zu dem Schluss kommen, dass unsere Politik mehr durch die Industrie als durch die Bürger gelenkt wird.

Dabei rückt auch bei den großen Unternehmen das Thema Klimaschutz immer höher auf die Agenda. Aus dem aktuellen Klimaschutzreport des BDL geht hervor, dass die Verbesserung der Treibstoffeffizienz von Flugzeugen für das Erreichen der Klimaziele nicht ausreicht. Das Ziel: Bis 2050 sollen die CO2-Emissionen im Vergleich zu 2005 auf 50% gesunken sein. Und zwar nicht nur über Kompensationsprojekte, die gar nicht so schnell wachsen können wie die die steigende Nachfrage nach Flugreisen. Um klimafreundliche Flugkraftstoffe marktfähig und verfügbar zu machen, fordert der BDL politische Förderung und Unterstützung. Und ist doch nicht bereit, in punkto Kerosinbesteuerung den Druck auf die Politik zu senken.

Und jetzt kommst Du

Politik, Lobbyismus, millionenschwere Forschung – wie geht es jetzt weiter? Der schnelle Wandel zu emissionsfreiem Fliegen kann nur gelingen, wenn sich alle AkteurInnen aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Politik aktiv und aus Überzeugung daran beteiligen. Dafür haben wir hier einige konkrete Vorschläge zusammengefasst:

Was wir BürgerInnen tun können:

  • Eigenes Urlaubs- und Reiseverhalten ändern: Z.B. Kurzstreckenflüge durch Zugreisen ersetzen, längere Aufenthalte bei Langstreckenflügen anstreben, mehr regionale Ziele erkunden. Hier weitere Tipps dazu: Der nachhaltige Warenkorb
  • Veranstaltungen und Demos besuchen: Hier z.B. der Veranstaltungskalenderder Nationalen Klimaschutzinitiative (NKI), z.B. ein Barcamp in Berlin am 30.+31. Jan. 2019. Noch ein Tipp: Der Verkehrsclub Deutschland e.V. (VCD) setzt sich für umweltschonende Mobilität ein und sucht Mitglieder.
  • In klimafreundliche Geldanlagen investieren: Zu einer Nachhaltigkeitsbankwie der GLS Bank oder Tomorrow wechseln. Indizes oder Fonds kaufen, die ausschließlich emissionsarme Unternehmen umfassen, dazu hier weitere Tipps. Hinweis: Vom privaten Kauf von Emissionszertifikaten ist momentan eher abzuraten.

Was die deutsche Politik tun kann:

  • Kerosinsteuer einführen (wie auch Norwegen und die Niederlande), hier winken jährlich ca. 400 Mio. € – diese direkt in klimafreundliche Flugtechnologie investieren, auch mehr in Thinktanks wie Bauhaus Luftfahrt
  • Ticketpreise für Bahnreisen subventionieren, denn Zugfahrten dürfen nicht teurer als Kurzstreckenflüge sein (Die Regierung subventioniert hingegen den Flugverkehr mit jährlich ca. 10 Mrd. €!)
  • Druck auf Brüssel und UN ausüben: Kerosinsteuer europaweit bzw. international einführen, keine kostenlosen Emissionszertifikate mehr für Luftverkehrsindustrie, inklusive Luftfracht

Was die deutsche Wirtschaft tun kann:

  • Allgemeine Reiserichtlinie einführen (Videokonferenzen fördern, Kurzstreckenflüge unterbinden und Zugnutzung fördern) – Beispiel Deutsche Telekom: Zugreisen unter 4h haben Vorrang
  • MitarbeiterInnen schulen und sensibilisieren für das Thema Nachhaltigkeit und über klimafreundliche Reiseoptionen
  • Airlines: In klimafreundliche Technologie investieren – um profitable Traumziele langfristig zu schützen, diesen Marketing-Vorteil nutzen!

 

Diesen Beitrag schrieben Johanna Kühner (Politikwissenschaftlerin) und Thomas Zimmermann (Agile Coach), begeisterte Reisende und Umweltfreunde. Er erschien zunächst hier auf Linkedin.