Header: KOA auf einer Demonstration © Mariam Touré
to belonging* ist unser nächster Schritt, um das Thema Anti-Diskriminierung neu zu denken und zu handeln. Weg vom Diskurs der Sichtbarkeit von Diversity und Inklusion hin zu einer authentischen und gelebten Zugehörigkeit aller marginalisierten Gruppen. Dies soll zu einem radikalen systemischen Wandel führen im Impact Sektor, von “Macht über” und “Macht für” hin zu “Macht mit”. Diese Serie wird ermöglicht durch die Open Society Foundations.
Der Black History Month 2021 neigt sich dem Ende zu. Der Kampf Schwarzer Menschen, für ein gleichberechtigtes Leben, findet jedoch 365 Tage im Jahr statt. Mariam Touré vom Kollektiv - afrodeutscher Frauen, einer Initiative für und von Schwarzen Frauen in Kiel, berichtet von der wichtigen Arbeit ihres Vereins und warum Selbstvertretung eine wichtige Stellschraube innerhalb des Kampfes gegen Rassismus darstellt.
Das Kollektiv - afrodeutscher Frauen
Vor über zwei Jahren haben wir – das Kollektiv - afrodeutscher Frauen – uns als kleine Gruppe in einem Kieler Wohnzimmer zusammengefunden. Wir haben überlegt, wie wir Schwarze Frauen und Mädchen in Kiel vernetzen können. Wie wir einen Raum schaffen können, für Schwarze, afrodeutsche, afrikanische und afrodiasporische Frauen, mit unterschiedlichen Biografien, Interessen, Wünschen und Diskriminierungserfahrungen. Dabei haben wir uns von bestehenden Schwarzen Initiativen, wie EachOneTeachOne (EOTO) und der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) inspirieren lassen.
Im Sinne von ADEFRA, einem Forum von und für Schwarze Frauen in Deutschland, das sich in den 80er Jahren gebildet hat, haben wir uns das Empowerment Schwarzer Frauen und Mädchen auf die Fahnen geschrieben.
Was wir mit Empowerment meinen, ist die Selbstbestimmung, die Selbstorganisation und das Selbstbewusstsein Schwarzer Frauen zu stärken. Mit voller Überzeugung fordern wir keine Räume mehr, wir schaffen und beanspruchen sie selbst. Selbstbewusst formulieren wir, dass es Initiativen und Räume wie unsere braucht.
Unsere wichtigste Aufgabe sehen wir darin uns selbst zu vernetzen und uns gegenseitig zu stärken. Das mag für Menschen, die das Gefühl nicht kennen in der Minderheit zu sein, seltsam klingen. Aber genau das ist das wunderbare an unserem Raum. Wir müssen uns nicht erklären. Wir teilen Erfahrungen und unsere Geschichten. Aber das Schöne ist eben auch, dass wir uns in unserer Unterschiedlichkeit sehen und uns respektieren. Während die Dominanzgesellschaft uns Schwarze Menschen als homogene Gruppe wahrnimmt, so sehen wir uns als Individuen mit Stärken und Schwächen.
Die Tatsache, dass es uns gibt stößt nicht nur auf Wohlwollen. Wenn marginalisierte Personen sich zusammentun, Räume beanspruchen, Forderungen an die Gesellschaft und die Politik richten, werden Selbstverständlichkeiten infrage gestellt. Es bedeutet Arbeit, es bedeutet Unbequemlichkeit, es bedeutet den Verlust von selbstverständlich geglaubten Deutungshoheiten und letztlich die Abgabe von Macht.
Von Anfang an haben wir hohe Ansprüche an uns formuliert. Wir arbeiten, wir sind unbequem, wir deuten und beanspruchen Macht. Als Gestalter*innen dieser Gesellschaft, haben wir das Recht uns und unsere Ideen zu vertreten.
Und das tun wir, besonders in Kiel, der Landeshauptstadt von Schleswig-Holstein. Mit Veranstaltungsreihen wie dem Black History Month oder der Homestory Deutschland. Über die Grenzen Kiels hinaus, möchten wir Schwarzes Leben sichtbarer machen. Das ist nicht nur für uns und andere Schwarze Menschen wichtig, sondern auch für den Rest der Gesellschaft. Wir wollen unseren Beitrag dazu leisten, dass die Vielfältigkeit in unserer Gesellschaft auch sichtbar ist.
Die Autorin Carolin Emcke sagte so treffend, dass es keine Bedingungen geben darf, die erfüllt sein müssen, damit jemand als Mensch anerkannt und geschützt wird. Dass dieser Satz für zu viele Menschen von theoretischer Natur ist, bezeugen und erleben wir in einer grausamen Regelmäßigkeit, in Deutschland und weltweit.
Im letzten Jahr so schmerzhaft mit George Floyd, Breonna Taylor, Tony McDade und zu vielen mehr. Wir können es uns nicht mehr leisten, immer wieder von vorne mit Debatten über die Existenz von Rassismus, Sexismus, Queerfeindlichkeit, Ableismus, Klassismus und weiteren Unterdrückungskategorien zu beginnen.
Das Logo des Kollektivs
We need to move on!
Es fehlt nämlich nicht an Erfahrungsberichten oder an wissenschaftlichen Erkenntnissen, welche diese Phänomene beschreiben.
Für viele Menschen sind die Lebensrealitäten, Herausforderungen und Wünsche Schwarze Menschen, erst durch die Black Lives Matter-Bewegungen im Juni 2020 bewusst geworden. Viele weiße Menschen haben vorher nicht wahrgenommen, dass es uns, Schwarze Deutsche, gibt. Dabei gibt es uns schon so lange und wir gestalten diese Gesellschaft ebenso lange mit. Anti-Schwarzer-Rassismus ist kein US-amerikanisches Phänomen, es findet in Deutschland tagtäglich statt. Und auch das Anklagen gegen diesen Rassismus gibt es nicht erst seit Juni 2020. Wir tun dies seit Jahrzehnten und Jahrhunderten.
Wir haben ein Recht auf Selbstvertretung und benötigen die Vertretung durch andere nicht. Was wir wollen ist, dass man uns sieht und hört. Was wir fordern ist Selbstbestimmung, Respekt und Anerkennung.
Vorherige Generationen Schwarzer Frauen in Deutschland haben den Weg für uns geebnet mit dem Selbstverständnis unterwegs zu sein, dass wir heute an den Tag legen. Schwarze, feministische, lesbische Frauen in Deutschland haben gemeinsam mit der Afroamerikanerin Audre Lorde hier die afrodeutsche/ Schwarze feministische Bewegung in den 80ern gestartet, die dazu geführt hat, dass so viele Schwarze Frauen bis heute Worte für ihre Bedürfnisse, ihre Wut, ihre Freude und ihr Sein gefunden haben. Worte zu finden, für das, was man erlebt, ist ein großer Schritt in Richtung Selbstermächtigung.
Diese Selbstermächtigung ist wichtig, um Forderungen zu stellen und Selbstakzeptanz zu finden in einer Gesellschaft, die mit ihrem Rassismus noch lange nicht abgeschlossen hat. In so einer Welt und in so einer Gesellschaft ist es notwendig, dass wir uns selbst weiterbilden, als Schwarze Frauen. Dass wir uns gegenseitig unterstützen. Dass wir uns gegenseitig feiern und uns gegenseitig stärken. Dass wir uns den Raum schaffen, in dem wir einfach wir sein können.
Viele von uns wachsen vereinzelt als Schwarze Menschen auf. Viele von uns kennen nur die eigene Familie als Schwarze Gruppe. Im Erwachsenenleben dann viele Geschwister kennenzulernen, die Erfahrungen wie Wünsche teilen, ist ein unglaubliches Gefühl von Stärke. Das Kollektiv hat uns gegenseitig gestärkt. Wir sind Schwarze Frauen, Schwestern, Freund*innen, Mitstreiter*innen.
Wir sind auf Demonstrationen, bei denen wir für unsere Rechte einstehen, aber auch für jene, die andere, aber ebenfalls schmerzvolle Erfahrungen in dieser Gesellschaft machen. Wir sprechen für uns und sind zeitgleich solidarisch. Wir bilden diese Gesellschaft weiter durch Workshops, Vorträge und durch unsere Präsenz auf Social Media. Wir lassen Menschen daran teilhaben, durch Veranstaltungen und schaffen zeitglich Räume, die nur für uns und für das gegenseitige Empowerment da sind.
Was in einem Wohnzimmer mit einer kleinen Gruppe begonnen hat, ist mittlerweile zu einer Initiative von über 60 Schwarzen Frauen aus Kiel und Umgebung avanciert. Einer Initiative, die noch einiges vor hat.
Zur Geschichte des Black History Months:
Der Black History Month ist eine afroamerikanische Bewegung Schwarzer Geschichte, die seit Anfang des 20. Jahrhunderts im Februar jeden Jahres stattfindet. Dabei soll eine breite Öffentlichkeit auf die Beiträge Schwarzer Menschen zur Geschichte ihres Landes und auf das Whitewashing* der Geschichtsschreibung aufmerksam gemacht werden. Mittlerweile findet in Kanada, Großbritannien, Deutschland und vielen weiteren Ländern der Black History Month statt.
Der erste deutsche Black History Month fand 1990 statt und wurde von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland e.V. (ISD) organisiert. In Berlin, Hamburg, Bremen, Kiel und in weiteren Städten gibt es anlässlich des Black History Months zahlreiche Veranstaltungen, in diesem Jahr vor allem online.