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Dies ist der 3. Teil einer Reihe zum Thema Skalierung. Im ersten Teil ging es um die Frage, wann und weshalb gemeinnützige Organisationen skalieren sollten (du findest ihn hier!) und im zweiten Teil um die Möglichkeiten, welche die Digitalisierung für die Skalierung bietet (den Artikel kannst du hier lesen). Der dritte und letzte Teil der Reihe wirft einen Blick auf die Förderlandschaft für Skalierung in Deutschland. Die Autorin Julia Meuter leitet bei der Stiftung Bürgermut das Skalierungsstipendium openTransfer Accelerator. Der openTransfer Accelerator unterstützt Organisationen in der Skalierung. Kernstück des Programms ist ein 12-Monatiges Stipendium.
Der Aufbau eines wirkungsvollen Projekts dauert etwa drei Jahre – danach sollte es selber fliegen. So oder so ähnlich scheint die Auffassung vieler Stiftungen oder sozialer Investor*innen zu sein. Doch ganz so einfach ist es nicht immer. Eine nachhaltige Verbesserung gesellschaftlicher Probleme braucht Zeit. Organisationen brauchen die Möglichkeit, verschiedene Ansätze auszuprobieren und zu optimieren zu können. Doch diese Phasen sind in vielen Förderungen nicht vorgesehen. Und so hüllen Organisationen alte Ansätze oft in ein neues Mäntelchen, um für ein vermeintlich neues Projekt weitere Förderungen zu erhalten. Dass das auf Dauer nicht gut gehen kann, zeigen die vielen Leuchtturm-Projekte, die überall in Deutschland entstanden sind und noch entstehen, welche ihr Licht doch nur auf die unmittelbare Umgebung werfen. Alles, was außerhalb des Lichtkegels ist, bleibt dunkel. Diese Projekte leisten mit Sicherheit gute Arbeit, aber: Um nachhaltig gesellschaftliche Probleme lösen, müssen gemeinnützige Initiativen über den eigenen Radius hinaus strahlen. Der soziale Sektor muss weg von der sogenannten „Projektitis“, und hier braucht es sowohl den Mut der gemeinnützigen Organisationen als auch die Bereitschaft von finanziellen Unterstützer*innen dieser Organisationen, ihre Arbeitsweisen zu ändern.
Schaut man sich in der deutschen Förderlandschaft um, lassen sich die sozialen Investor*innen, die ernsthaft die Skalierung gemeinnütziger Organisationen unterstützen an einer Hand abzählen. Das ist schade – nicht nur für die Empfänger*innen der finanziellen Mittel, sondern auch für die Gelgebenden selber. Denn die Unterstützung von sklaierungsfähigen Organisationen bringt einige Vorteile mit sich.
Mehr Hebelwirkung durch Skalierung
Geldgebende Organisationen möchten gemäß ihrer Satzung gesellschaftliche Probleme lösen und holen sich hierfür andere Organisationen ins Portfolio, welche die notwendigen Kenntnisse mitbringen, ebendies zu tun. Allerdings scheint hierbei oft nach dem Prinzip „Mehr Organisationen = mehr Wirkung“ gehandelt zu werden. Aber diese Gleichung geht nicht auf. Denn wer nur kurz und oberflächlich in Organisationen investiert, bleibt auch oft an der Oberfläche der Probleme. Tiefe Veränderungen brauchen systemischen Wandel und Hartnäckigkeit. Beides braucht langfristige Unterstützung und das Wachstum der Organisation. Hiermit ist nicht immer gemeint, dass möglichst viele neue Standorte eröffnet werden. Es geht darum, einer Organisation die Möglichkeit zu geben, ihre Wirkung zu verbreiten.
Wie genau das aussieht, variiert von Organisation zu Organisation. Das ist auch für Sarah Ulrich, Referentin bei der aqtivator gGmbH, die in den Bereichen Bildung und Integration die Professionalisierung und das Wachstum gemeinnütziger Organisationen fördert, einer der ausschlaggebenden Faktoren für die Unterstützung von Skalierung: „Wirkungsorientiert arbeiten heißt nicht unbedingt, dass man den einen Ansatz findet und diesen multipliziert. Es heißt, dass eine Organisation in der Lage ist, ihre Wirkung zu multiplizieren. Das kann auch bedeuten, dass sie vielleicht andere Wege findet, dies zu tun – auch das muss möglich sein. Das entspricht nicht der Innovation im Sinne von völlig neuen Ansätzen, sondern eher einer inkrementellen Innovation, die an den Bedarfen einer Zielgruppe oder der Gesellschaft als Ganzes dranbleibt.“ Ähnlich sieht es Alexander Raths von der Auridis Stiftung gGmbH, einer gemeinnützigen Förderinstitution mit Schwerpunkt auf der frühen Kindheit. Er sagt: „Wir sehen für uns den großen Vorteil, dass wir durch eine Skalierungsförderung in der Regel eine Nachhaltigkeit schaffen, die über die eigene ursprüngliche Stiftungsförderung hinaus geht“.
Durch die Unterstützung einer Organisation auf Wachstumskurs können Förderer*innen oder soziale Investor*innen also eine höhere und nachhaltigere Wirkung erreichen als durch die Finanzierung von immer neuen Projekten.
Das Prinzip Venture Philanthropy
Auridis und aqtivator zählen zu den wenigen Organisationen in Deutschland, die Skalierung unterstützen. Doch nicht nur das unterscheidet sie von anderen fördernden Organisationen. Neben finanziellen Mitteln unterstützen sie Organisationen auch beim sogenannten Capacity Building. Das heißt, sie schauen, wie sie die Organisationen noch stärken können, damit sie nachhaltig und effizient ihre Wirkungsziele erreichen können. Das kann die Entwicklung des Teams und der Kompetenzen der Organisation, die Professionalisierung der Wirkungsorientierung, eine Geschäftsmodellentwicklung oder die Überprüfung des Fundraisingmodells umfassen. Daneben öffnen beide Organisationen ihre Netzwerke, wenn dies für die Erreichung der Wirkung zielführend ist. Der Ansatz lehnt sich stark an das Prinzip der Venture Philanthropy an, welches wiederum Ansätze aus dem Venture-Capital-Bereich nimmt und diese für gemeinnützige Vorhaben anpasstadaptiert. Venture Philanthropy folgt der Annahme, dass eine starke, wirkungsorientiert arbeitende Organisation einen höheren sozialen Return on Investment bedeutet. Mit anderen Worten: wir bekommen mehr Wirkung für das Geld, das wir in die Organisation stecken. Das bedeutet allerdings auch, dass Organisationen über einen längeren Zeitraum begleitet werden müssen. Die Auridis etwa fördert in der Regel sieben bis zehn Jahre. Aqtivator arbeitet mit flexiblen, individuellen Förderzeiträumen, die es ihnen und den unterstützten Organisationen ermöglicht, in enger Abstimmung ihre Skalierungsstrategien zu erproben und zu entwickeln. Beide Organisationen gehen mit einer klaren Exit-Strategie in die Kooperation, ein weiteres Element der Venture Philanthropy. Dadurch verschiebt sich die Dynamik in der Zusammenarbeit zum Positiven. Die Förderer*innen schenken den unterstützen Organisationen einen Vertrauensvorschuss, indem sie sagen: Wir geben dir die Zeit, die es braucht deine Organisation und deinen Ansatz zu optimieren. Doch im Gegenzug verlangen sie, dass die Organisation weg geht von der Empfängermentalität und eigenständig daran arbeitet, unabhängig von der Geldgebenden Organisation zu werden und Wege zu finden, die eigene Wirkung zu verbessern.
Unterstützung von Standorten
Wenn es um die die Skalierung von Wirkung geht, muss allerdings nicht immer nur in die Zentrale einer Organisation investiert werden. Stiftungen und soziale Investor*innen können die eigene Wirkung erhöhen, indem sie den Aufbau eines Standorts unterstützen. Ein Beispiel, das zeigt, wie fördernde Organisationen hier Wirkung entfalten können, ist die Unterstützung des Programms Babylotse durch die Crespo Foundation mit Sitz in Frankfurt am Main. Babylotsinnen sind Fachkräfte – Sozialpädagoginnen und Sozialarbeiterinnen –, die in den Geburtskliniken den Rat suchenden Eltern zur Seite stehen. Die Beratung durch die Babylotsinnen beruht immer auf Freiwilligkeit, ist kostenlos und steht jeder Familie, die zur Entbindung in eine der beteiligten Kliniken kommt, zur Verfügung. Eltern haben so erstmals ohne eigenen Aufwand die Möglichkeit, rund um die Geburt an fachlich qualifizierter Stelle Gehör zu finden und Hilfe zu bekommen. Die Babylotsinnen entlasten zugleich das Klinikpersonal, dem im eng getakteten Klinikalltag für weitergehende Beratung und Unterstützung oft die Zeit fehlt.
Nachdem die Stiftung SeeYou das Programm Babylotse erfolgreich in Hamburg entwickelt und umgesetzt hatte, holte die Crespo Foundation das Programm gemeinsam mit weiteren Kooperationspartner*innen nach Frankfurt/Main, wo sie es in Trägerschaft des Deutscher Kinderschutzbund Bezirksverband Frankfurt e. V. umsetzt. Warum sich die Stiftung in dem Fall gegen die Entwicklung eines neuen Projekts entschieden hat? Die Idee und das Prinzip der Babylotsen war überzeugend, und es gab bereits ein Proof of concept – der Ansatz funktionierte. Wie Aslak Petersen, Geschäftsführer der Crespo Foundation, sagt: „Am Ende des Tages kommt es auf die Wirkung an. Es ist einfach nicht realistisch zu glauben, dass man immer die besten Ideen hat und das Rad neu zu erfinden ist ineffizient“. Der Erfolg gibt ihm Recht. Mittlerweile erreicht „Babylotse Frankfurt“ alle Geburtskliniken in Frankfurt/Main – das damit potentiell etwa 13.000 Familien jährlich.
Der Status Quo der Skalierungsförderung in Deutschland
Wie sieht es denn nun wirklich aus mit der Unterstützung von Skalierung? Ist das Bild wirklich so düster, wie ich es oben gemalt habe? Sarah Ulrich – aqtivator – kennt den Sektor gut und sie sieht einen positiven Shift. Immer mehr fördernde Organisationen versuchen mittlerweile, Ansätze zu finden, die sich bewährt haben und diese dann groß zu machen. Eine Herausforderung sieht sie allerdings im mangelhaften Verständnis von Wirkungsmechanismen. Viele Stiftungen stellten Ressourcen zur Verfügung, ohne zu hinterfragen, ob und wie das Geld effizienter und effektiver eingesetzt werden könnte. Sie überlegten nicht, ob Prozesse noch optimiert, oder etwas günstiger werden könnten – oder auch kostenaufwändiger, sofern es dann wirkungsvoller ist. Die Frage, wie er den Status Quo der Skalierungsförderung ansieht, habe ich natürlich auch Alex Raths von der Auridis gestellt. Er kommt, wie Sarah, zu dem gleichen Schluss, dass noch Luft nach oben ist. Seiner Meinung nach liegt das an zwei substanziellen Problemen, die Skalierung mitbringt: Sie ist langwierig, und sie ist teuer. Stiftungen müssen also Geduld und viel Geld mitbringen – das eine wollen, das andere können viele Stiftungen nicht. In Bezug auf Wirkung hat er allerdings ein positiveres Bild. Sein Eindruck ist, dass der Sektor sehr viel mehr Wert auf Wirkung und Nachhaltigkeit legt, als das noch vor ein paar Jahren der Fall war. Das ist vielleicht auch der Grund, weshalb die Unterstützung von Standorten oft nicht das Problem ist. Die Unterstützung der Zentrale, die vor allem Overheadkosten umfasst, ist da leider immer noch herausfordernd. Hier braucht es mehr mutige Förderer*innen und gemeinnützige Organisationen.
Beim Umdenken sind alle gefordert
Die Beispiele in diesem Text zeigen, dass sowohl die Unterstützung der zentralen oder der lokalen Umsetzung viele Vorteile für fördernde Organisationen bringt und sie so noch mehr Wirkung erreichen können. Dass dies bislang nur eine Handvoll von Stiftungen und anderen sozialen Investor*innen erkannt zu haben scheint, kann zu großer Frustration bei Organisationen auf Wachstumskurs zu führen. Doch die Schuld alleine bei den Geldgeber*innen zu suchen, greift zu kurz. Auch Organisation, die auf der Suche nach einer Förderung sind, können dazu beitragen, dass sich der Sektor ändert. Denn sie spielen das Spiel oft mit und übernehmen das Vokabular der Projektitis, das der Fördersektor ihnen seit Jahren vorgibt. Lasst uns diesen Kreislauf unterbrechen und von unseren Förderpartner*innen „verlangen“, dass sie uns helfen, das Rad nicht immer wieder neu zu erfinden und bewährte Ansätze in die Fläche zu bringen. Das heißt aber auch, dass wir im Gegenzug Professionalität und den Willen, Wirkung zu erreichen mit in die Partnerschaft bringen.
Lasst uns gemeinsam die Förderlandschaft verändern – sowohl als fördernde wie auch fördersuchende Organisationen. Lasst uns gemeinsam wirkungsvolle Angebote skalieren, um so gesellschaftliche Herausforderungen zu lösen!
Bonus: Tipps von Förderern
Sucht euch Partner*innen, die thematisch und von der Arbeitsweise her passen. Überlegt euch schon vor Beginn der Zusammenarbeit, wie ihr dazu beitragen können, die Ziele des Förderpartners oder der Förderpartnerin zu erreichen und ihnen das Gefühl nehmt, sie seien „nur“ Geldgeber*innen. Gerade wenn fördernde Organisationen auch operativ tätig sind, ist es wichtig zu überlegen, in welcher Weise sie sich einbringen können. Diese Form der Vorbereitung und Durchführung mag sehr aufwändig sein, doch sie kann sich lohnen, wenn man Partnerschaften etabliert, die über Jahre funktionieren.
Bringt ein Wirkungsmodell mit, aus dem logisch und stringent hervorgeht, wie es funktioniert. Welche Aspekte eines Problems möchtet ihr lösen? Was tut ihr, um Ziele zu erreichen und warum sind eure Maßnahmen ein wirksamer Weg? Wenn ihr dann auch noch eine Idee mitbringt, was ihr anders machen möchtet, um die gleiche oder mehr Wirkung zu erreichen, seid ihr auf jedem Fall auf dem richtigen Weg.
- Organisationen auf Wachstumskurs können sich noch bis zum 22. November für den Accelerator Jahrgang 2021 bewerben und 12 Monate Unterstützung bei der Entwicklung ihrer Skalierungsstrategie erhalten. Zudem lädt der Accelerator am 26. und 27. November zum digitalen Festival der Skalierung ein. In Workshops, Diskussionsformate, Debattenrunden und vielem mehr werden Herausforderungen und Best Practices in der Skalierung diskutiert – unter Einbindung von Förder*innen und Praktiker*innen. Teilenehmende erwartet jede Menge Raum für Austausch und Vernetzung mit Gleichgesinnten und die Möglichkeit, wertvolles Wissen für ihre Arbeit mitzunehmen und Fragen zu diskutieren, die sie bewegen.