Header: Kate Kalvach via Unsplash.
to belonging* ist unser nächster Schritt, um das Thema Anti-Diskriminierung neu zu denken und zu handeln. Weg vom Diskurs der Sichtbarkeit von Diversity und Inklusion hin zu einer authentischen und gelebten Zugehörigkeit aller marginalisierten Gruppen. Dies soll zu einem radikalen systemischen Wandel führen im Impact Sektor, von “Macht über” und “Macht für” hin zu “Macht mit”. Diese Serie wird ermöglicht durch die Open Society Foundations.
Es ist in Ordnung, wenn wir Menschen kategorisieren. In irgendeiner Weise müssen wir uns ja orientieren. Wenn uns ein Mensch suspekt vorkommt, dann vertrauen wir nun mal unserem Bauchgefühl und halten zum Beispiel erst einmal Abstand. Die Krux mit diesem Bauchgefühl ist nur, dass wir uns in jedem Moment auch immer von unseren unbewussten kognitiven Wahrnehmungsverzerrungen, besser bekannt als Unconscious Biases, leiten lassen. Wir bewerten Situationen und Menschen innerhalb von Sekundenbruchteilen, basierend auf Erlebtem und Gelerntem (Domsch, Ladwig, Weber, 2019, S. 5). Denken wir beispielsweise an eine Person im Rollstuhl, so kommt es vor, dass wir mit dieser Personengruppe Hilflosigkeit assoziieren. Ohne dass wir darauf Einfluss nehmen können, wirken sich diese Art Assoziationen auf unsere Emotionen aus, die wiederum Entscheidungen beeinflussen. Der Großteil dieses Prozesses geschieht unbewusst und findet in jedem Gehirn statt. Über die unbewusste Bildung dieser Vorurteile schrieb der Wirtschaftspsychologe Daniel Kahneman: „Die mentale Arbeit, die Eindrücke, Intuitionen und viele Entscheidungen hervorbringt, vollzieht sich im Stillen in unserem Geist (Kahnemann, 2012, S.14). Er bezeichnet diese systematischen Fehler als Verzerrungen [engl. biases], welche in vorhersehbarer Weise in bestimmten Umständen auftreten.
Wenn wir nun wissen, dass wir uns von unseren Biases fehlleiten lassen können, bedeutet das etwas, dass wir nicht mehr auf unser Bauchgefühl hören dürfen? Sind wir nicht oft stolz auf unseren gesunden Menschenverstand und unsere jahrelange Lebenserfahrung in Ausbildung und Beruf? Woher weiß ich nun, ob ich mit meinem „Gefühl“ richtig liege?
Ich glaube, dass wir dies nie wirklich wissen können. Was wir allerdings tun können, wenn wir unser Gegenüber in eine Schublade stecken, dass wir dies sehr bewusst tun und noch etwas Platz darin lassen. Ich erinnere mich an meine ersten Anti-Rassismus Workshops für weiße Menschen. Ich sah eine homogene Gruppe vor mir, die ich ohne Weiteres in einen Topf geworfen habe. Auf dem Topf stand: privilegierte weiße Menschen. Zumindest habe ich die Menschen als privilegiert und weiß ‚gelesen‘. Was bedeutet ‚lesen‘ genau? Wenn wir Menschen sehen, ordnen wir Ihnen automatisch eine Kategorie zu. Sehen Menschen mich zum ersten Mal, dann lesen sie wahrscheinlich eine heterosexuelle Schwarze cis-gender Frau. Warum? Heterosexuell, weil das der Norm entspricht, Schwarz auf Grund meiner dunklen Hautfarbe und cis Frau (das Geschlecht, das mir nach meiner Geburt zugeschrieben wurde, entspricht dem Geschlecht mit dem ich mich identifiziere), weil die meisten Menschen an binäre Geschlechter glauben und in mir eine Frau sehen. Dem könnte ich fast in allen Punkten zustimmen, bis auf einem: Ich bin nicht heterosexuell. Je nach dem, wer mir gegenübersteht verbinden die Menschen mit mir allerdings noch weitere vermeintliche Attribute: Ausländerin, Geflüchtete, versteht kein Deutsch, sozial schwach, …
Abhängig davon, wie eine Person aussieht oder spricht assoziieren wir bestimmte Eigenschaften. Diese können positiv oder negativ ausfallen – beeinflusst durch die eigene Identität, also Alter, ethnischer Background, Nationalität, Behinderung, Geschlecht, sexuelle Orientierung, sozialer Klasse, usw. Wie diese (unvollständige) Aufzählung zeigt, gibt es verschiedenste Dimensionen, die jeden einzelnen Menschen ausmachen. So bin ich nicht nur das, was die Menschen auf den ersten Blick sehen, sondern auch Mutter, Ehefrau, Studentin, Unternehmerin, Rheinländerin, leidenschaftliche Hobbyköchin, Laktoseintolerante, Anti-Rassistin und so vieles mehr. Um allerdings diese Dinge über mich zu erfahren, reicht es nicht aus, mich lediglich anzuschauen oder mir kurz zuzuhören. Vielleicht müssen wir uns ein paar Mal über den Weg laufen oder einmal einen Kaffee zusammen getrunken haben, um diese Eigenschaften kennenzulernen.
Was können wir nun tun, wenn wir fremde Menschen oder vermeintlich ‚homogene Gruppen‘ treffen? Mein Vorschlag wäre: Einatmen, ausatmen und akzeptieren, dass wir so denken, wie wir denken. Im nächsten Schritt (und jetzt kommt’s) können wir versuchen uns bewusst zu werden, was wir da gerade denken und warum. Warum mögen wir jemanden nicht? Warum glauben wir, dass diese Person schwach, stark, reich, arm, gefährlich oder harmlos ist? Wenn wir glauben, dass wir vielleicht nicht ganz richtig liegen, können wir uns doch einfach mal mit unserem Gegenüber unterhalten. Wie krass wäre das?
In meinem konkreten Fall sieht das so aus, dass ich fremden Gruppen immer mit meinem Grundsatz versuche zu begegnen: „Ich weiß nur, dass ich nichts weiß.“. Während der Zusammenarbeit mit der Gruppe sehe ich immer klarer verschiedene Facetten jeder einzelnen Person. Nach noch etwas längerer Zeit zusammen, geschieht etwas sehr Wunderbares: Trotz der zahlreichen Unterschiede, werden allmählich Gemeinsamkeiten sichtbar. Eine weiße Teilnehmerin fühlt sich als Jüdin beispielsweise gar nicht so weiß, da sie sich nicht der weißen Mehrheit angehörig fühlt und gerade von christlichen weißen diskriminiert wird. Ein anderer Teilnehmer erzählt, dass ihn als alleinerziehender Vater entgegengebrachte Stereotype und Vorurteile nerven. Eine andere teilnehmende Person hat eine nicht sichtbare Behinderung und spürt ebenfalls Benachteiligung. Auf einmal ist der Raum, der mit so vielen verschiedenen Menschen gefüllt ist, nicht mehr fremd oder angsteinflößend, sondern ein Ort, in dem ich viele Gemeinsamkeiten entdecke, mich zugehörig und verstanden fühle.
Sollte es nicht so leicht für uns sein, neue Menschen persönlich kennenzulernen, so gibt es noch weitere Möglichkeiten, Einblick in die Lebensrealitäten verschiedener Menschen zu erlangen und somit Vorurteile allmählich ablegen zu können. Wir können Bücher oder Blogeinträge lesen, Dokumentationen und Filme schauen oder verschiedensten Accounts in den sozialen Medien folgen. Auf diese Weise lernen wir auch zugleich Begrifflichkeiten und Selbstbezeichnungen, die uns helfen eine gemeinsame Sprache zu finden. Treten wir dann das nächste Mal mit neuen Menschen in den persönlichen Kontakt, so sind wohl möglich unsere Angst vor dem ‚Neuem‘ sowie unsere Hemmschwelle geringer.
Wir lesen häufig, wie wichtig Diversität und Inklusion sind. Haben wir uns denn tatsächlich einmal die Zeit genommen, um herauszufinden, was dies genau bedeutet? Bedeutet es nicht einfach, dass wir in einem Raum sein können, in dem wir zwar alle anders sind, uns jedoch Vieles verbindet? Ein Raum, in dem wir Verletzlichkeit zeigen dürfen, da wir spüren, dass wir alle unterschiedliche Facetten besitzen? Ein Raum, in dem wir gut sind, wie wir sind und ein Gefühl von Zugehörigkeit empfinden? Ich glaube, dass wir solche Räume schaffen können – sowohl im beruflichen als auch im privaten Alltag. Ein guter Start ist das Einatmen und Ausatmen. Anschließend halten wir kurz inne und überlegen, ob wir nicht doch einen Schritt weiter gehen wollen, um empathisch nachzufragen, „hast Du einmal Lust, Dich mit mir auf einen Kaffee oder Tee zu treffen? Ich würde Dich gerne näher kennenlernen, denn ich glaube, wir haben mehr gemeinsam, als wir denken.“.
About
Ellen Wagner ist gelernte Hotelfachfrau, Diplom Betriebswirtin, zertifizierte Systemische Coach und wird ihren Master in Wirtschaftspsychologie im Jahr 2021 abschließen. Sie ist eine erfahrene interkulturelle Trainerin, Autorin und Dozentin. Einer ihrer Schwerpunkte ist Diversität & Inklusion, mit einem besonderen Fokus auf Rassismus und Queerfeindlichkeit. 2019 gründete sie ihr Unternehmen cross cultural bridges – wagner coaching LLC in den Vereinigten Staaten mit dem sie als Antidiskriminierungs-Expertin trainiert, aufklärt sowie Menschen und Unternehmen befähigt, Diversität zu verstehen und echte Inklusion zu leben. Ein weiterer Schwerpunkt ist die transatlantische Begleitung von Expatriates entlang des Entsendungsprozesses anhand von Interkulturellen Trainings, Empowerment Workshops und 1on1-Coachings.
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