Header: Ausschnitt aus dem Cover der ersten VETO Ausgabe © VETO Magazin
Gerade in diesem Jahr hat man oft das Gefühl, die Nachrichten könnten nicht schlimmer werden. Egal welches Online-Nachrichtenportal oder welche Zeitung man aufschlägt: Homophobie in Polen, die Lage an den Grenzen Europas, Zuwachs bei rechten Gruppierungen weltweit und und und. Doch was dagegenhalten? Wie können wir alle diese Probleme angehen?
Eine Antwort auf diese Fragen könnte "die Zivilgesellschaft" sein. Jede*r einzelne von uns hat die Möglichkeit, sich gesellschaftlich zu engagieren – ob in der Arbeit oder als freiwillige*r Helfer*in für einen Verein. Genau diesen Menschen, die in vielen Medien oft höchstens als Randfiguren auftauchen, möchte das VETO Magazin eine Plattform bieten. In der aufwendig gestalteten Printausgabe kommen Aktivist*innen und andere Engagierte zusammen, welche die Welt ein bisschen besser machen wollen. Und was passt da besser, als wenn wir von tbd* – das digitale Zuhause für Menschen, die die Welt verbessern möchten – uns mit VETO Gründer Tom Waurig verbinden, um ihn zum Magazin zu befragen?
Tom Waurig © VETO Magazin
Wie seid ihr auf die Idee für das Veto Magazin gekommen? Wie sehen eure beruflichen Hintergründe aus?
Tom: Die Idee für das Veto Magazin entstand schon im Spätsommer 2018. Umgetrieben hat uns immer schon ein und dieselbe Frage: Wer ist das eigentlich, diese Zivilgesellschaft? Immer, wenn es irgendwo brennt, soll die es richten - aber wer da eigentlich angesprochen wird, bleibt unklar, geschweige denn, dass es darum geht, was Staat und Gesellschaft für diese ominöse Zivilgesellschaft tun können und sollten.Also haben wir uns umgeschaut und widmen mit Veto den Mutigen und Engagierten ein Magazin, weil sie es verdienen, mit ihren klugen Gedanken und Ideen von einer breiten Öffentlichkeit gesehen zu werden. Und denen, die finden, dass es höchste Zeit ist, sich einzumischen, wollen wir zeigen, wie es gehen kann. Angefangen haben wir online mit 50 Porträts. Seit Anfang des Jahres gibt es uns auch als gedrucktes Magazin. Das war ein langer und steiniger Weg, aber wir sind glücklich, dass es geklappt hat. Susanne Kailitz, meine Kollegin, arbeitet schon seit zwei Jahrzehnten als freie Journalistin und bekam so Einblick in die Redaktionen des Landes. Ich habe zehn Jahre für eine Anti-Rechts-Initiative in Sachsen gearbeitet und unterschiedliche politische Bildungsprojekte umgesetzt. Dabei habe ich immer wieder erlebt, dass zivilgesellschaftliches Engagement in der alltäglichen Berichterstattung zu selten eine präsente Rolle spielt. Wenn doch, meistens dann, wenn irgendwo Neonazi-Übergriffe passieren. Dann sind auch immer die Engagierten gefragt und müssen erklären: wer, wieso, weshalb. Wir gehen anders vor und wollen sichtbar machen, was die Engagierten im Land täglich leisten. Komplettiert wird die Redaktion von zwei Kreativen: Mandy Münzner (Grafik) und Benjamin Jenak (Fotograf). Im Büro sind wir insgesamt sieben Leute, die zum Beispiel auch politische Bildungsarbeit machen. Das Zusammenspiel und die unterschiedlichen Sichtweise von uns allen machen den besonderen Spirit von Veto aus.
Um wen genau, handelt es sich bei den "Aktiven", die ihr durch euer Magazin eine Stimme geben möchtet?
Tom: Das ist ganz unterschiedlich! Aktive ließe sich genauso mit „engagierte Zivilgesellschaft“ ersetzen. Gemeint sind all die, die progressive Ideen und Visionen für die Zukunft unseres Zusammenlebens haben. Menschen, die haupt- und ehrenamtlich in Initiativen, Vereinen, Verbänden oder Stiftungen arbeiten und dort organisiert sind. Veto dient als Plattform, auf der sie sich wiederfinden – mit ihren Wünschen und Herausforderungen. Engagement oder Aktivismus finden heute jedoch nicht mehr nur in einem institutionellen Rahmen statt. Es gibt auch viele, die sich privat einsetzen. Denn durch die Aufnahme von Geflüchteten, das Aufkommen der AfD oder Pegida und die daraus folgenden Diskussionen sind Themen wie politische Bildung, Ausgrenzung, Radikalisierung oder Demokratieförderung längst keine mehr, die nur jene Menschen bewegen, die selbst betroffen oder in Initiativen organisiert sind. Es geht um Fragen, die eine breite Masse bewegen, weil viele nach Beispielen suchen, die Mut machen, und Ideen liefern, wie sie sich selbst einbringen können.
Blick ins Magazin © VETO Magazin
Welche Rolle spielt der Journalismus eurer Meinung nach dabei, den "gesellschaftlichen Riss" zu kitten?
Tom: Ich finde es zu viel verlangt, dass Journalismus gesellschaftliche Gräben überwinden soll/kann – die reichen ja heute bis in Familien hinein. Spannungen oder Konflikte zu kitten, ist also schwerer denn je. Wenn das überhaupt funktioniert, dann nur im Zusammenspiel von Politik, Medien und Zivilgesellschaft. Medien haben dabei vor allem die Aufgabe, abzubilden, was ist. Und wir wollen mit unserer Art der Berichterstattung auch noch Haltung zeigen. Denn offenbar ist es langweilig geworden, über das Gute zu berichten. Das muss sich endlich ändern – und Engagement raus aus der Nische! Magazine und Zeitschriften gibt es viele, auch viele gute. Doch Engagierte und ihre mutigen Ideen finden dort leider oft nur am Rand statt. Entscheidend sind für uns all jene, die sich in Initiativen zusammenschließen, praktisch helfen und Projekte auf die Beine stellen. Wir wollen ihnen eine Bühne geben, damit sie auch gesehen und gehört werden, ihre Perspektiven im medialen Diskurs eine Rolle spielen und wahrgenommen werden. Es wurde in den letzten Jahren leider mehr über diffuse Ängste diskutiert statt mutige Menschen in den Mittelpunkt zu rücken, die Dinge bewegen – und nicht ständig nur meckern. Wenn wir daran etwas geändert haben, können wir über das Kitten von gesellschaftlichen Rissen sprechen – kurzum: es ist ein langer Weg.
Welches Potential liegt im Engagiert sein/ Aktivismus als Bestandteil für gesellschaftliche Transformationsprozesse?
Tom: Was wir festhalten können, ist folgendes: Deutschland steckt in einer handfesten Krise. Es gibt immer wieder neue Themen, die die Gesellschaft spalten: Zuerst ging es um die Aufnahme von Geflüchteten, danach stand die Frage nach mehr Klimagerechtigkeit und nun ist es der Umgang mit der Corona-Pandemie. Das Land ist aufgewühlt und bisher Unsagbares wird auf einmal selbstverständlich ausgesprochen. Der gesellschaftliche Riss reicht weit tiefer, als viele es wahrhaben wollen. Denn bei immer mehr Menschen wächst das Unbehagen und sie suchen Halt, weil sie glauben, die Orientierung zu verlieren. Und während die Politik weiter nach Antworten sucht, wie sie mit der Wut umgehen soll, haben sich Engagierte längst auf den Weg gemacht, die Welt ein bisschen besser zu machen. Sie helfen überall dort, wo Menschen in Not sind, sie greifen ein, wenn andere ausgegrenzt werden und suchen nach innovativen Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen. Doch erfolgreiche Strategien und Projekte werden nur sehr selten kommuniziert oder untereinander geteilt. Die Aktiven brauchen daher vor allem eine starke Stimme. Und: Sie brauchen Wertschätzung für ihre Arbeit. Daran liegt aktuell das eigentliche Potential unserer Arbeit.
Wir bei tbd* stellen uns oft die Frage, welchen Impact unsere Arbeit macht. Wie sieht es bei euch aus? Welchen Impact wollt ihr überhaupt auf eure Leser*innen haben?
Tom: Für ein Medium ist das natürlich eine wirklich spannende Frage. Vor allem wollen wir zeigen, wie viele Menschen sich engagieren und was ihr Einsatz für uns als Gesellschaft bedeutet. Wir wollen andere empowern, deutlich machen, wie sinnvoll und notwendig es geworden ist, sich für etwas und für andere Menschen einzusetzen. Mit Veto zeigen wir Beispiele, wie das gehen und auch aussehen kann. Unsere Botschaft an alle mutigen Menschen ist: Ihr seid nicht alleine! Wir wollen Initiativen im besten Fall untereinander vernetzen, weil sie durch uns voneinander erfahren. Darüberhinaus möchten wir gerne eine neue, konstruktive Form des Journalismus etablieren. Viele Menschen, die in den Medien arbeiten, berichten aus dem etwas arroganten Gefühl heraus, sie allein wüssten über die Dinge Bescheid. Wir sind aber der Meinung, dass diejenigen, die sich engagieren, am besten über ihre Themen Bescheid wissen und anderen selbst erklären sollten, warum sie tun, was sie tun. Wir haben nicht den Anspruch, Meinungen zu machen, sondern denen zu Aufmerksamkeit zu verhelfen, die etwas zu sagen haben und an Lösungen für gesellschaftliche Probleme arbeiten.
Cover der zweiten Ausgabe © VETO Magazin
Die zweite Ausgabe portraitiert sechs starke Frauen, die Minderheiten angehören. Aus was darf man sich in der dritten Ausgabe freuen?
Tom: Wir haben uns bei Heft drei für das Thema Sicherheit entschieden. Das klingt erstmal nach einem konservativen Wert, weil wir sofort an einen ordnungspolitischen Rahmen denken, an mehr Polizei und an Gefängnisse. Sicherheit meint aber noch vielmehr und spielt für viele Menschen eine Rolle: Black Lives Matter hat uns das deutlich gezeigt. Und deshalb gibt es im neuen Magazin eine 18-seitige Porträtreihe, die Schwarze Menschen mit ihrem Aktivismus in den Fokus rückt. Es geht um Sicherheit beim Drogenkonsum, um linken Kampfsport oder um Asexualität. Auf eine Geschichte freue ich mich besonders: Wir haben eine Vertreterin von Fridays for Future mit einer Schwarzen Aktivistin zusammengebracht, die auch bei Black Lives Matter auf die Straße gegangen ist. Beide haben wir in Berlin zum Interview getroffen. Der Text und die Bilder sind großartig geworden, finde ich. Den Inhalt von 100 Seiten aufzuzählen, würde wahrscheinlich den Rahmen sprengen. Die Leute da draußen sollten sich einfach selbst überzeugen …