Aktualisiert am 30.07.2018
Es gibt grob drei Arten von Strategien, auf die man sich engagieren kann, um das Leid in der Welt zu reduzieren:
- Ethisch(er) konsumieren, um die Schäden des Eigenkonsums (Ernährung, Mobilität, Kleidung etc.) zu minimieren
- Zeit investieren, um sich direkt für eine wichtige Sache einzusetzen
- Geld investieren (spenden), um eine wichtige Sache voranzutreiben
Keine dieser Strategien ist unwichtig, aber im Vergleich zu anderen altruistisch motivierten sozialen Bewegungen, wo insbesondere 1) und/oder 2) große Beachtung erfahren, steht für effektive Altruisten/innen häufig das wohlüberlegte Spenden im Vordergrund. Gegenüber direkteren und persönlicheren Formen der Hilfe bietet es nämlich einige Vorteile, die im folgenden Text erläutert werden.
Wohin soll ich spenden?
Selten stellt man sich die Frage „Wohin soll ich eigentlich spenden?“ wirklich und so, dass man gewillt ist, mehrere Stunden oder gar Tage in die ergebnisoffene Suche nach einer Antwort zu investieren. Die Gründe, weshalb Menschen an bestimmte Organisationen spenden, sind stattdessen häufig eher zufällig:
- Man wurde auf der Straße von einem/r Fundraiser/in angesprochen, der von einer bestimmten Organisation bezahlt wird.
- Man kennt eine Person, die bei einer Hilfsorganisation arbeitet.
- Man kannte jemanden, der/die am Problem litt oder starb, an dem die Hilfsorganisation arbeitet.
- Man hat von einer bestimmten Hilfsorganisation gehört und findet ihren Ansatz emotional berührend oder intuitiv überzeugend.
Häufig anzutreffen ist auch das folgende Auswahlkriterium:
- Man achtet bei einer Organisation darauf, dass ein möglichst hoher Prozentsatz des Spendengeldes direkt in die Hilfsintervention fließt.
Es ist an sich immer begrüßenswert, wenn Leute freiwillig einen Teil ihres Geldes für gute Zwecke abgeben. Aber Spenden sind nicht gleich Spenden: Hilfsorganisationen unterscheiden sich stark in ihrer Wirksamkeit, was in den allermeisten Spendenentscheidungen kaum berücksichtigt wird.
Nehmen wir beispielsweise den letztgenannten Grund: Vielen Spendern/innen scheint es wichtig zu sein, dass das Budget einer Hilfsorganisation möglichst niedrige Administrationskosten beinhaltet. Doch der Anteil der Administrationskosten am Gesamtbudget korreliert nicht mit der positiven Wirkung einer Spende. Wichtig ist nicht nur, welcher Anteil einer Spende in ein Hilfsprogramm fließt, sondern vor allem, wie sinnvoll das Hilfsprogramm an sich ist. Häufig ist es sinnvoll, eine Hilfsmaßnahme sorgfältig zu erforschen und zu planen, auch wenn damit höhere Kosten verbunden sind. Wenn es uns im Wesentlichen darum geht, mit einer Spende möglichst viel Gutes zu bewirken, dann sollte die Kosteneffektivität einer Hilfsorganisation für unsere Spendenentscheidungen ausschlaggebend sein.
Kosteneffektivität
Die Kosteneffektivität bezeichnet die positive Wirkung einer Hilfsintervention pro Spendenbetrag. Sie wird anhand von Messgrößen wie verhindertem Leid oder vermeideten Todesfällen oder Krankheiten zu bestimmen versucht. Im Weltarmutsbereich werden Kosteneffektivitätsanalysen von der Organisation GiveWell durchgeführt. Weil in Entwicklungsländern teilweise selbst grundlegende medizinische und sanitäre Infrastruktur nicht vorhanden ist, können Hilfsorganisationen dort für die gleiche Menge an Geld viel mehr bewirken als in Industrieländern.
Nachhaltige Hilfe
Der Begriff „Kosteneffektivität“ ist immer langfristig gesehen zu interpretieren: Wenn eine Intervention kurzfristig zwar Leid verhindert, aber langfristig unter dem Strich negative Auswirkungen hat, so müssen wir dies in in der Einschätzung der Kosteneffektivität dieser Intervention berücksichtigen. Die von GiveWell empfohlenen Organisationen haben nachhaltige positive Auswirkungen auf die Bildung oder die lokale Wirtschaft. Die großflächigen Entwurmungsaktionen von Deworm the World beispielsweise verhindern nicht nur Krankheiten, sie erhöhen indirekt auch stark die Schulanwesenheitsraten behandelter Kinder und später deren Einkommen.
Kapazitäten für zusätzliche Spenden
Wie aus der Grafik oben hervorgeht, schneiden Entwurmungen („deworming“) im Vergleich mit anderen Maßnahmen zur Erhöhung der Anzahl Schuljahre zwar deutlich besser, aber nicht am besten ab, was die Frage aufwirft, weshalb GiveWell nicht die beste Intervention empfiehlt, nämlich Eltern über die Vorteile einer Schulbildung für ihre Kinder zu informieren. Ein Grund dafür ist simpel: Manche hocheffektiven Interventionen sind schon stark durch Großspender (z. B. die Bill & Melinda Gates Foundation) oder staatliche Entwicklungshilfegelder finanziert. Zusätzliche Spenden haben einen abnehmenden Grenznutzen und können nicht mehr maximal effektiv eingesetzt werden. Die Metrik der Kosteneffektivität berücksichtigt deshalb, ob eine Organisation noch Kapazitäten für zusätzliche Spenden (engl. „room for more funding“) hat.
Kosteneffektivität evaluieren: Ein schwieriges Unterfangen
Wie quantifizieren Hilfswerk-Evaluatoren wie GiveWell die Kosteneffektivität verschiedener Maßnahmen? GiveWell benutzt dazu u. a. die Einheiten QALYs und DALYs. GiveWell weist jedoch darauf hin, dass es sich bei der Quantifizierung von Leid und Lebensqualität durch QALY- und DALY-Angaben um eine Metrik zur Kosteneffektivitätsbestimmung unter vielen handelt, die sich nicht für alle Untersuchungen eignet. Explizit-quantitative Kosteneffektivitätsabschätzungen können mit großen Unsicherheiten behaftet sein und ihre methodologischen Annahmen sind nicht unumstritten, doch sie stellen unsere einzige und beste Grundlage für Spendenentscheidungen dar, die das Leid von mehr Menschen reduzieren. Selbst wenn man die Hilfswerk-Evaluation kritisch sieht, wird man anerkennen müssen, dass gewisse Interventionen offensichtlich mehr bewirken als andere. Das bedeutet, dass es bessere und schlechtere Antworten auf Fragen wie „Welche Intervention verhindert langfristig das meiste Leid?“ oder „Wo kann ich für 1000 $ die meisten DALYs kaufen?“ gibt. Man könnte Spendenentscheidungen nach dem Zufallsprinzip treffen, aber dann bewirkt man im Erwartungswert viel weniger, als wenn man versucht, nach bestem Wissen und Gewissen Schätzungen zur Kosteneffektivität von Organisationen vorzunehmen. Die Quantifizierung altruistischer Interventionen mag uns intuitiv fragwürdig erscheinen, doch im Alltag führen wir alle selbst häufig einfache Schätzungen zu den Leid(reduktions)folgen verschiedener Maßnahmen durch: Wenn wir unser Kind impfen, fällen wir das Urteil, dass die Schmerzen des Nadelstichs insgesamt weniger schlimm sind als ein wesentlich höheres Krankheitsrisiko für das ungeimpfte Kind (und die von ihm potentiell infizierbaren Mitmenschen).
Bereichsneutrales Spenden
Das Konzept der Kosteneffektivität lässt sich nicht nur innerhalb eines Problembereichs – beispielsweise der Weltarmut – anwenden, sondern auch zwischen Problembereichen. Um die eigenen Mittel möglichst zielführend einzusetzen, lohnt es sich bei der Spendenwahl auch, zwischen verschiedenen Problembereichen zu priorisieren, so dass man schließlich, basierend auf allen Informationen, die einem zur Verfügung stehen, die bestmögliche Investition vornimmt. Spenden kann man nicht nur an traditionelle Hilfsorganisationen, sondern auch an Non-Profit-Organisationen allgemein, an Think-Tanks, politische Parteien, an die Forschung usw. Es lohnt sich daher, die vielversprechendsten Optionen genauer anzuschauen und stets für neue Erkenntnisse offen zu bleiben.
Zusammenfassung
Das effektive Spenden ist darauf ausgerichtet, unter all den Möglichkeiten, für die wir unser Geld ausgeben können, diejenigen zu finden, welche die höchste positive Wirkung auf die Welt versprechen. Weil viele Problembereiche noch stark unterfinanziert sind, können wohlüberlegte Spenden, selbst wenn es sich um kleinere Beträge handelt, eine derart hohe positive Wirkung erzielen, dass die (positiven oder negativen) Direktauswirkungen der eigenen Arbeit oder des eigenen Konsumverhaltens dagegen nicht sehr stark ins Gewicht fallen.
Daraus folgt keineswegs, dass nur das Spenden wichtig ist. Es folgt jedoch, dass die meisten effektiven Altruisten/innen den Großteil ihrer Aufmerksamkeit wahrscheinlich darauf richten sollten, entweder selbst effektiv zu spenden oder andere Personen vom effektiven Spenden zu überzeugen.
Dieser Artikel stammt von der Stiftung für Effektiven Altruismus und erschien ursprünglich hier.