Wir haben in unserer tbd* Community nach Beiträgen für die Serie "Zukunft der Entwicklungszusammenarbeit" ausgerufen und besonders beeindruckt hat uns der Beitrag von Mario Lootz. Mario Lootz ist Absolvent des 56. Jahrgangs des Postgraduiertenprogramms ‘Internationale Zusammenarbeit für Nachhaltige Entwicklung‘ am Seminar für Ländliche Entwicklung (SLE) an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Mehr als zwei Billionen Euro wurden in den letzten 50 Jahren an staatlichen Entwicklungsgeldern nach Afrika überwiesen. Trotzdem gibt es keinen wissenschaftlichen Beleg dazu, dass diese Gelder zu einer strukturellen positiven Entwicklung der Empfängerländer und deren Bevölkerungen beigetragen haben. Renommierte Entwicklungsforscher*innen wie die ehemalige WorldBank-Ökonomin Dambisa Moyo oder der Ökonomie-Professor William Easterly stellen sogar das Gegenteil fest. Die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) sei verantwortlich für die ausbleibende wirtschaftlichen Entwicklung vieler afrikanischer Staaten. Die Hilfe erreiche nur die Eliten, unterstütze Korruption und verhindere die strukturelle Entwicklung der Wirtschaft.
Der Blick auf die Fakten gibt den beiden Autor*innen Recht. Auch wenn es weltweit heute vielen Menschen besser geht als vor 30 Jahren – wie der schwedische Professor Hans Rosling in seinen kurzweiligen TED-Talks anschaulich beweist – sind die meisten Entwicklungen nicht auf die EZ zurückzuführen, sondern durch den wirtschaftlichen Aufschwung von Schwellenländern zu erklären. In Ländern wie Mexiko und Brasilien in Lateinamerika, Südkorea und Taiwan, später Malaysia oder Indonesien in Asien sowie den erdölfördernden Golfstaaten leben heute weitaus weniger Menschen in absoluter Armut und Hunger als vor 30 Jahren. Auch in zahlreichen Ländern Afrikas hat es Fortschritte in der Bekämpfung von Armut, Versorgung mit Gesundheitsleistungen und Zugang zu Bildung gegeben. Vor allem aber Chinas Aufstieg ist eine weltweit einzigartige Reduzierung von Armut zu verdanken. Trotz der heute bestehenden massiven gesellschaftlichen Ungleichheiten wurden 800 Millionen Chines*innen aus der Armut befreit. Und das nicht aufgrund von Entwicklungszahlungen, sondern wegen des Erfolges des chinesischen Wirtschaftsmodells in Form eines autoritären Staatskapitalismus.
Der Blick auf die Liste der Empfängerländer von staatlichen Hilfsgeldern im Jahr 2017 zeigt die kriegsgeplagten Syrien und Afghanistan als die Staaten mit den höchsten erhaltenen Hilfszahlungen. Dahinter kommen zwar mit Äthiopien und Bangladesch Länder, die in den letzten Jahren wirtschaftlich gewachsen sind, gefolgt werden sie jedoch von Nigeria oder Tansania, die sich trotz Entwicklungszahlungen eher schwach entwickelt haben, zieht man das Brutto-Sozial-Produkt als Indikator heran. Auch für die Faktoren Lebenserwartung, Zugang zu Bildung oder Demokratisierung – als Anhaltspunkt für die Entwicklung eines Landes – lässt sich kein struktureller Zusammenhang mit der Zahlung von Entwicklungsgeldern erkennen.
Professor Dreher von der Universität Heidelberg spricht von einem „Mikro-Makro Widerspruch“. Auf der Mikro-Ebene werden Entwicklungsprojekte häufig positiv evaluiert und es gibt eine Vielzahl von Programmen im Gesundheits-, Bildungs- oder Sanitärbereich, die vor Ort die Lebenssituation vieler Menschen konkret verbessern. Auf der Makro-Ebene lasse sich jedoch kein positiver Zusammenhang zwischen höheren Entwicklungszahlungen und mehr Entwicklung und ökonomischem Wachstum nachweisen.
Auf den internationalen Gipfeltreffen zur „Paris Agenda on Aid Effectiveness“ – die seit 2003 regelmäßig stattfinden – haben die Geberländer fehlende Ownership als Entwicklungshindernis ausgemacht. Die grundsätzliche und verantwortliche Mitsprache der Empfänger*innen von Entwicklungsleistungen scheint der richtige Ansatz gegen fehlende Effizienz zu sein. Allerdings ist eine radikale Umsetzung des Prinzips notwendig für eine Neuausrichtung der EZ.
In der Praxis lassen sich aber nur geringe Verbesserungen erkennen. Der „Marshallplan mit Afrika“ des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat zwar die Partnerregierungen in der Projektplanung konsultiert, eine beständige Mitwirkung von Expert*innen aus dem globalen Süden an den Prozessen im Ministerium bleibt aber Zukunftsmusik. Dirk Messner, ehemaliger Leiter des Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) schlägt vor, 5 % aller deutschen Ministerien mit nicht-Deutschen und nicht-Europäern zu besetzen. Erst dadurch könne „die Sichtweise der Welt“ in die deutsche Entwicklungsagenda integriert werden. In ihrem Artikel in dieser Reihe unterstützt Naomi Ryland diese Idee und spricht sich für eine diverse und partizipative EZ aus. Die globalen Fragen unserer Zeit brauchen Lösungen, die nur durch „unterschiedliche Perspektiven und durch eine Zusammenarbeit über Grenzen und auf Augenhöhe geleistet werden können“. Wenn schon ein Marshallplan mit Afrika nötig ist, warum dann nicht auch ein*e Entwicklungsminister*in mit afrikanischen statt bayrischen Wurzeln.
In seinem Statement weist Dirk Messner auf ein weiteres Problem hin. Entwicklungspolitik gehört nicht nur ins BMZ, sondern muss das Handeln aller Ministerien beeinflussen. Handelsexperte Boniface Mabanza zufolge müssten dazu globale Fragen in der Bundesregierung in einer Hand liegen, um die deutsche Afrika-Politik kohärent zu gestalten. In der Praxis haben allerdings deutsche Wirtschaftsinteressen oft Vorrang vor entwicklungspolitischen Aspekten. Als Beispiel können hier die EU-Subventionen auf Agrarprodukte gelten, mit denen afrikanische Erzeugnisse auf dem heimischen und dem EU-Markt konkurrieren müssen. Kontraproduktiv sind zudem exklusive Handelsabkommen wie TTIP, in denen Handelsbarrieren nur unter den Beteiligten beseitigt werden, statt für die Staatengemeinschaft insgesamt. Als Teil der entwicklungspolitischen Agenda könnte Deutschland sich für die Aufwertung der Welthandelsorganisation WTO stark machen, die international geltende Standards, statt Exklusiv-Deals umsetzen kann.
Auch das Entwicklungshemmnis der Steuerflucht von internationalen Konzernen aus Entwicklungsländern sollte in diesem Rahmen multilateral angegangen werden. Eine Studie der norwegischen „School of Economics“ stellte fest, dass durch die bewusste Fälschung von Kapitalvolumen und geheime Transaktionen in Steuerparadiese, Entwicklungsländern allein im Jahr 2012 Steuern im Wert von 700 Milliarden US$ entgingen. Eine Summe, die die Entwicklungszahlungen im selben Jahr um das Fünffache übersteigt.
Eine entwicklungspolitische Agenda, die ihren Namen verdient, muss sich diesen Fragen und Problemen annehmen. Die Mitsprache der Empfänger*innen von EZ in der Planung und Implementierung von Projekten, die internationale und diverse Besetzung von Entscheidungsposition in der Entwicklungspolitik sowie eine kohärente entwicklungspolitische Agenda in allen Politikbereichen könnten den Anfang bilden für eine Neuausrichtung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, die sich effektiv für eine gerechtere Welt einsetzt.
Quellen:
William Easterly (2006): Wir retten die Welt zu Tode: Für ein professionelleres Management im Kampf gegen die Armut
Dambisa Moyo (2011): Dead Aid: Warum Entwicklungshilfe nicht funktioniert und was Afrika besser machen kann
The Guardian (14.01.2017): https://www.theguardian.com/global-development-professionals-network/2017/jan/14/aid-in-reverse-how-poor-countries-develop-rich-countries
Süddeutsche Zeitung (22.11.2018): https://www.sueddeutsche.de/politik/entwicklungsminister-mueller-keine-ausbeutung-von-mensch-und-natur-akzeptieren-1.4221855
Süddeutsche Zeitung (25.09.2018): Afrika helfen – mit weniger Entwicklungshilfe (Druckausgabe)
Süddeutsche Zeitung (09.01.2018): https://www.sueddeutsche.de/politik/entwicklungspolitik-der-westen-hat-als-vorbild-dramatisch-gelitten-1.3814734
The World Bank Open Data, https://data.worldbank.org/