ursprünglich erschienen: 10.02.2016
Ein gemeinnütziger Verein aus Neubrandenburg mit dem Zweck Nachwuchsfilmemacher zu fördern schafft das, was man Intregration auf Augenhöhe nennen kann. Der Verein leistet mit seiner Arbeit einen integrativen Ansatz für die Region - nicht durch einen sozialen Dienst, sondern unter anderem durch ein Filmfestival, wofür sich viele Neuankömmlinge begeistern.
Als Latücht Film & Medien e.V. veranstaltet Ihr das Dokumentarfilmfestival dokumentART in Neubrandenburg. Was habt Ihr und das Festival mit Geflüchteten zu tun?
Die dokumentART gibt es seit 24 Jahren in Neubrandenburg, an der Mecklenburgischen Seenplatte. In unserem Wettbewerb zeigen wir vor Allem Filme von Nachwuchsfilmemachern aus der ganzen Welt. Die FilmemacherInnen greifen oft auf die Aktualität zurück - dazu gehört vom Anfang des Festivals bis heute (leider) auch die Flüchtlingsproblematik. Filme, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen werden bei uns auf dem Festival dementsprechend seit 24 Jahren gezeigt und diskutiert. Doch dieses Thema bekam im vergangenen Jahr eine ganz neue Ebene, als auf einem Schlag etwa 1600 Geflüchtete in Neubrandenburg untergebracht wurden.
Unser Verein führt hier in der Stadt Filmworkshops für Kinder und Jugendliche durch und kooperiert mit diversen Hilfsorganisationen, wie AWO oder ASB. Bald bekamen wir über unsere Kontakte dort eine Anfrage: ein 18-jähriger Syrer wollte bei uns Praktikum machen. Wajed spricht perfektes Englisch; zu Hause in Damaskus hat er die wichtigsten Hollywood-Filme von 1930 bis heute durchgeguckt. Dokumentarfilm fand er auch interessant. Und so packte Wajed bei uns im Büro mit an: er lernte mit Excel arbeiten, Filmformate umzuwandeln und zu archivieren und wurde bald zum festen Teil unseres Teams. Er brachte außerdem seine Freunde mit - bald wurde unser Büro zum Treffpunkt für junge Syrer, Ukrainer, Ghanaer, Iraner usw. Wajeds Schwester Raneem hat in Syrien Kunst studiert und bemalte die Wände des Akkreditierungsbüros, wo auch ein kleines Cafe für die Festivalgäste eingerichtet wurde.
Zur Festivalzeit wird das Festival jedes Jahr von etwa 35 freiwilligen Helfern unterstützt. Im Jahr 2015 waren zum ersten Mal auch 20 Geflüchtete dabei. Sie bedienten die Kinokassen, halfen beim Karten Abreißen und kümmerten sich um die Verteilung der Kopfhörer für die Synchronübersetzung. Das war nicht nur eine große Hilfe für das Festival, sondern man sah dort Integration "in action" - Neubrandenburger lernten zum ersten Mal Flüchtlinge kennen und auch unsere ausländischen Gäste waren positiv überrascht.
In Osteuropa herrscht sogar in sehr aufgeklärten Akademiker-Kreisen die Auffassung, dass "die deutsche Zivilisation von Flüchtlingen bedroht wird". Filmemacher aus diesen Ländern konnten sich bei uns selbst ein Bild davon machen, wie es in Wirklichkeit aussieht.
Was bietet Ihr Geflüchteten in Eurem einjährigen Programm?
Unser Programm ist hoffentlich nicht nur auf ein Jahr begrenzt. Im Grunde bieten wir Arbeitserfahrungsplätze und Ausbildungen in unserem Kulturbetrieb an. Unser Verein sollte zum neuen Begegnungsort der Kulturen in Neubrandenburg werden. Sonst gibt es hier für Migranten nur soziale Einrichtungen. Das ist für neue Mitbürger auf Dauer frustrierend - deshalb ist es uns wichtig weiterhin ein anspruchsvolles Programm zu bieten.
Was hat sich mit der Einführung des Programms für Euch verändert?
Wir sind ein gemeinnütziger Verein mit etwa 40 Mitgliedern. Die meisten davon kommen aus der Region und sind Senioren, die schon seit mehr als zwei Jahrzehnten sich für den Verein einsetzen. Beim Festival hat die Zusammensetzung des Vereins sich natürlich schlagartig verändert. "Auf einmal hatten wir einen Ausländeranteil von 33% und über Nacht war das Durchschnittsalter um 20 Jahre gesenkt!"
Positiv für uns ist, dass ein ansehnlicher Teil der Geflüchteten in Neubrandenburg Englisch sprechen und Interesse an Kultur und Film zeigen. In der Vergangenheit war es für uns immer schwierig hier in der Mecklenburgischen Seenplatte qualifiziertes, motiviertes Personal zu finden. Jetzt haben wir zum Teil schon Zugriff auf Menschen die gewisse Kompetenzen mitbringen aber auch Menschen die Interesse haben, um die notwendigen Fähigkeiten "on the Job" zu erlernen.
Habt Ihr die Integration Eures Programms als große Umstellung erfahren?
Wir haben "improvisiert" angefangen, mit ehrenamtlichen Helfern. Da die meisten Geflüchteten Deutsch noch nicht ausreichend beherrschen, konnten sie nur Teilaufgaben übernehmen, zum Beispiel die Korrespondenz mit ausländischen Filmemachern. Unsere Unterlagen und Datenbanken sind alle in deutscher Sprache - es war also viel Betreuung notwendig und manchmal recht umständlich die Aufgaben alle genau in Englisch zu erklären. Auch bei Meetings hatten wir ab und zu Sprachprobleme, da zum Beispiel unsere Buchhalterin kein Englisch spricht.
Jetzt ist die Hauptsache, dass wir eine zielgerichtete Ausbildung bieten und Struktur reinbringen. Eine große Herausforderung wird es sein, einen generationsübergreifenden Arbeitsstil zu entwickeln, in dem wir auf neue Ideen eingehen können, ohne dass die Kompetenz und Erfahrung der letzten 24 Jahre unbeachtet bleiben. Das ANKOMMER. Perspektive Deutschland Stipendiatenprogramm hilft uns aber dabei. Im Berliner Social Impact Lab werden wir gecoacht und gibt es Beratung in dieser Umstellungsfase.
Inwiefern prägt Euch die Zusammenarbeit mit den Geflüchteten und wie wirkt sich das auf Euch aus?
Die Zusammenarbeit prägt und sehr stark. Uns war sofort klar, dass mit den Geflüchteten nicht nur qualifizierte Arbeitskräfte da sind, sondern auch ein potentielles neues Publikum für das Festival und unser Programmkino. Dies beeinflusst natürlich auch das Kinoprogramm. In Zukunft werden wir öfter Filme in der Originalsprache mit Untertiteln zeigen. Unsere neuen Mitarbeiter werden auf Dauer auch das Programm mitgestalten; dort wird es dann arabische Filmabende oder Ähnliches geben.
Könnt Ihr bereits ein paar Learnings mit uns teilen?
Bei der Personalführung ist ja Kommunikation bekanntlich das A und O. Für die Arbeit mit Geflüchteten ist es vielleicht sogar doppelt so wichtig. Deren spezielle Situation in Bezug auf ihrer Aufenthaltsdauer an einem Ort und ihre Zukunftspläne sind anderen zeitlichen Umständen unterworfen, als bei Menschen die schon geklärte Aufenthaltsverhältnisse im Land haben. Bei der Einstellung sollte man so genau wie möglich erfragen welche Ziele jede Person hat. Für dauerhaften Erfolg bedarf es einer individuellen Herangehensweise. Das Jobcenter, die Arbeitsagentur und die Stadt in unserer Region sind wunderbare Partner - sie sehen auch ein, dass es im Interesse der Region ist, qualifizierte Neuankommer hier zu behalten. Danach sind Zwischengespräche mit Mitarbeitern wichtig um rechtzeitig Probleme zu erkennen und vorzubeugen.
Kulturunterschiede - beim Festival werden Filme zu allen möglichen Themen gezeigt - dazu gehören auch Filme mit LGBT-Thematik (lesbian, gay, bisexual, transgender). Da haben wir uns zu Anfang manchmal Sorgen gemacht über einen "Clash of Cultures". Was wenn unsere muslimische Mitarbeiter da auf einmal kündigen?! Es gab gar kein Clash of Cultures, sondern es wurde nach dem Film einfach mit den Filmemachern diskutiert.
Was macht Euch zu Changern?
Wir bieten jungen Menschen wertvolle Arbeitserfahrung und Ausbildungsmöglichkeiten und tragen aktiv zu ihrer Integration bei. Aber insbesondere die Art der Zusammenführung von Ankommern und der bestehenden Gesellschaft halten wir für einen einzigartigen Ansatz. Wir involvieren Ankommer in die Gestaltung, Organisation und Durchführung eines International renommierten Filmfestivals das ein Fenster zu europäischer Kultur und Zivilgesellschaft bietet. Damit unsere Ankommer sich erfolgreich an dieser Aufgabe beteiligen können, müssen sie sich mit der verknüpften Kultur auseinandersetzen.
Darüber hinaus sind unsere Ankommer in der Lage als Teil eines kulterschaffenden Organs auch ihre eigene Herkunft für ihren neuen Lebensraum greifbarer zu machen. Wir denken das ist Integration auf Augenhöhe. So hilft unsere Initiative hoffentlich dabei die Position von Flüchtlingen in unserer Region zu verbessern.
Das internationale Festival kann als Modell für andere Kulturveranstaltungen dienen, da wir jedes Jahr viele Journalisten und Dokumentarfilmemacher aus ganz Deutschland und vielen Ländern Europas zu Besuch haben. Es würde uns auch freuen einen Programmaustausch mit anderen Filmfestivals zu veranstalten.