Der Weg zur Gleichberechtigung ist lang. 1896 sagte Susan B. Anthony: „Ich denke, es hat mehr für die Emanzipation der Frau getan als alles andere auf der Welt. Es gibt Frauen das Gefühl von Freiheit und Selbstständigkeit.“ Und sie meinte damit – das Fahrrad.
Damals erkämpften sich die ersten Pionier-Fahrradfahrerinnen das Recht zum Radfahren und dadurch auch das Recht zur Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben. Auch heute ist das Fahrrad immer noch ein Vehikel für Freiheit, Selbstbestimmtheit und gesellschaftliche Veränderung und Frauen kämpfen immer noch um Anerkennung.
Weibliches Fahrverhalten ist intelligentes Fahrverhalten
Das Fahrrad ist über 200 Jahre alt und gerade im urbanen Raum ist es oft das praktischste Verkehrsmittel, das direkte Wege ermöglicht. Zuerst war das Fahrradfahren den Adeligen vorbehalten, später wurde es das Gefährt der Arbeiter*innen-Bewegung. Heute gibt es deutliche Unterschiede, wer Fahrrad fährt, je nach Alter, Herkunft, Geschlecht und Bildungsstand. In Berlin ist der Anteil von Männern und Frauen, die Fahrrad fahren, relativ ausgeglichen mit einer Tendenz zu mehr männlichen Radfahrenden. Interessant hierbei ist, dass Frauen andere Wegeketten zurücklegen und die Wege zwar kürzer, aber deutlich komplexer sind. Das ist auf die gesellschaftliche Rolle und nicht das biologische Geschlecht zurückzuführen: Frauen erledigen immer noch mehr Pflege- und Haushaltsarbeit als Männer, haben auf ihren Wegen mehr Stopps und mehr Gepäck dabei oder sind in Begleitung unterwegs. Aber noch mal einen Schritt zurück, wer fährt eigentlich Fahrrad?
Roger Geller unterscheidet vier Typen des Radfahrens. Da gibt es die furchtlosen Kampfradler*innen (1%), die Begeisterten und Überzeugten (6%), die Besorgten (60%) und die, die auf keinen Fall Fahrrad fahren würden (33%). Interessant ist die Gruppe der besorgten Radfahrer*innen, ein großer Teil von Ihnen sind Frauen. Sie würden gerne (mehr) Fahrrad zu fahren, wenn eine gute Infrastruktur zur Verfügung steht, auf denen sie sicher und geschützt unterwegs sein können. Denn was sie abhält ist die Angst. Wie muss die Infrastruktur also gestaltet sein, dass mehr oder besser alle Menschen Fahrrad fahren? Radwege müssen durchgängig und breit genug sein, so dass man überholen kann und abgetrennt von anderen Verkehrsteilnehmern sein, so dass Konflikte mit Fußgänger*innen und Autofahrer*innen vermieden werden. In unseren Nachbarländern Dänemark und den Niederlanden fahren übrigens mehr Frauen als Männer Fahrrad, was vor allem auf die gute Infrastruktur zurückzuführen ist und auf eine andere Mobilitätskultur. Frauen gelten auch als Indikator dafür, ob es sicher ist. Marianne Weinreich von der Danish Cycling Embassy sagt dazu: „Frauen sind nicht blöd. Sie riskieren nicht ihr Leben. Erst, wenn es sicher ist Radzufahren, tun sie das auch.“
Weibliche Stadt- und Mobilitätsplanung?
„Das Verhältnis von Rad und Frau sagt viel über unsere Gesellschaft aus. Im Verkehr werden neben Klassen-, Raum- und kulturellen Kämpfen auch Geschlechterkämpfe ausgefochten“, schreibt Petra Sturm in der Standard. (1)Weil wir uns auch immer wieder fragen müssen: Wer plant und entwirft unsere Städte, Infrastruktur und Straßen? Wer entscheidet, wie unsere Stadt aussieht und nicht zuletzt: Wer entwirft die Fahrräder selbst? Der Verkehrsbereich ist traditionell technisch und daher leider immer noch männlich dominiert. Davon abgesehen, dass es Diversität im Denken braucht und soziale, ökologische Faktoren mehr berücksichtigt werden müssen, braucht es auch eine Diversität derer, die für alle eine Stadt entwickeln sollen.
Damenrad noch zeitgemäß?
Wir alle kennen den Begriff des Damenrads, es beschreibt ein Fahrrad mit abgesenktem Oberrohr, das einen Trapez- oder Diamantrahmen hat. In der Entstehungsgeschichte des Fahrrads hat eben dieses Fahrrad Frauen das Radfahren einfacher gemacht, da viele von ihnen lange Röcke trugen. Andererseits haben Frauen durch das Fahrrad begonnen Hosen zu tragen und erstmalige auch spezielle Pluderhosen zu designen, die das Fahrradfahren für Frauen einfacher machten. Aus heutiger Sicht ist der Begriff des Damenrads also völlig überholt. Und es ist keine Frage des Geschlechts, sondern der physischen Beweglichkeit, welche Rahmen man präferiert. Um das zu weiter zu entwickeln, müssen die Frauen wieder an den richtigen Stellen sitzen, in den Design- und Produktentwicklungsabteilungen der Hersteller. Interessante Beispiele kommen aus der Lastenrad-Szene. Die ursprünglich für Kurier*innen entwickelten Fahrräder, wurden sukzessiv für den Familientransport entdeckt und mit Gurten, Kindersitzen und Verdecks zur praktischen Familienkutsche. Brauchen Frauen also andere Produkte als Männer? Jein! Die pink-it-shrink-it-Methode funktioniert deswegen nicht, weil sie Frauen in ein zementiertes Rollen- und Designverständnis presst. Ein Produkt muss nicht pink und blumenverziert sein um Frauen anzusprechen, sondern es muss der Physiognomie von Frauen entsprechen, sowie den praktischen Anforderungen des Alltags. Es braucht mehr Größenvarianz, es gibt kleine und große Menschen mit unterschiedlichen physiognomischen Anforderungen und auch unterschiedliche Bedürfnisse in der Nutzung. Das muss bereits im Entwurfsprozess mitgedacht werden.
Bisher ist die Fahrradbranche homogen männlich geprägt und von einer Quote weit entfernt. Daher braucht es andere Mittel die Strukturen zu diversifizieren. Dafür sind einerseits die Unternehmen gefragt die ihre Ausschreibungen vielfältiger gestalten, flexiblere Arbeitszeitenmodelle einfügen oder ein Bewusstsein für Verschiedenheit etablieren können. Letztendlich ist Diversität auch ein wirtschaftlicher Benefit für das Unternehmen, denn BCG hat errechnet, dass diverse Teams bis zu 19% mehr Umsatz generieren als homogene Teams. Andererseits braucht es auch die Frauen, die schon in der Fahrradbranche sind, die nicht nur ein gutes Vorbild sein können, sondern auch Steigbügelhalterinnen um andere in die Branche und nach vorne zu bringen.
Wie in jeder Branche kommt es auch hier viel auf ein gutes Netzwerk an. Deswegen müssen sich Frauen zusammen tun, um gemeinsam sichtbarer zu werden und sich gegenseitig zu unterstützen. In Berlin gibt es bereits das Netzwerk Fahrradfrauen und am 8.3 findet dieses Mal zum zweiten Mal der Purpleride statt, eine Fahrraddemonstration für Gleichberechtigung im Straßenraum.
Was ist also die Essenz?
Das Fahrrad ist mehr als ein Verkehrsmittel mit politischer und gesellschaftlicher Dimension. Die verschiedenen Facetten des Fahrrads im Alltag, der Politik und dem Sport erfordern gesellschaftliche Diversität und Gleichberechtigung. Dafür müssen viel mehr Frauen an den entscheidenden Positionen sitzen. Fahrräder und Accessoires designen, produzieren, verkaufen und reparieren. Städte, Verkehr und Mobilität planen und geeignete Infrastruktur dafür bauen. Und weiterhin dafür kämpfen, dass das Podium ein Ort ist, an dem beide Geschlechter oben stehen. „Die Verkehrswende braucht mehr Fahrrad, die Verkehrswende braucht mehr Frauen“, hat die Greenpeace-Campaignerin Marion Tiemann mal gesagt - dem ist nichts hinzuzufügen.
Wo findest du Networkingmöglichkeiten in der Fahrradbranche?
Komm am 18./19. April zur VELOBerlin auf dem Flughafen Tempelhof. Im Rahmen des Specials VELOWomen mit spannenden Vorträgen und Workshops gibt es auch jede Menge Möglichkeiten zum Netzwerken. Deine Möglichkeit, die Fahrradbranche kennenzulernen und über offene Stellen informiert zu werden!
- Mit dem Ticketcode jobmitsinn erhältst du dein VELOBerlin Tagesticket für 7€ statt 10€ auf www.veloberlin.com
Oder komm zum Purpleride in Berlin (jeden zweiten Freitag im Monat). Mehr Infos dazu findest du hier.
Noch mehr Fahrradfrauen findest du in dieser Facebook-Gruppe.
Die Autorin
Isabell Eberlein bezeichnet sich selbst als politische Radfahrerin. Sie ist studierte Politikwissenschaftlerin mit Fokus auf Umwelt, Verkehr und Nachhaltigkeit. Bei Velokonzept erarbeitet sie neue und innovative Konzepte für die Fahrradbranche und verknüpft die unterschiedlichen Akteure rund um das Fahrrad im VELOLab. Das Thema Fahrradfrauen beschäftigt sie seit sie selbst in der Fahrradbranche arbeitet. Sie freut sich immer wieder spannende Frauen, die irgendwas mit dem Fahrrad machen kennenzulernen und zu vernetzen.
Fußnote: [1] https://www.derstandard.at/story/2000108048776/frauen-an-die-raeder