Brauchen wir eine Revolution?

Über die Größe der Schritte, die für einen (Klima-)Wandel notwendig sind.

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von Tina Röbel, August 9, 2021

Wenn wir so weitermachen wie bisher, werden wir den Klimawandel höchstwahrscheinlich nicht stoppen und die soziale Ungerechtigkeit wird weiter wachsen statt kleiner zu werden. Brauchen wir also eine Revolution? Oder anders gefragt: Was lässt sich mit vielen kleinen Schritten erreichen?

Selbstorganisiert, solidarisch und zu wenig?

Vor ein paar Wochen war ich bei einer Tagung über „nachhaltige Arbeit und Lebensführung“. Was ich dabei gelernt habe: Es gibt viele schöne Theorien darüber, wie eine nachhaltige Welt aussehen könnte. Dazu gehören viele Schlagwörter, selbstbestimmt, selbstorganisiert, solidarisch, lokal, auf Augenhöhe, … und dazu gehört die Kritik, dass bisherige Projekte und Initiativen zu kurz greifen.

„Dasselbe in grün“ ist aus Forschungssicht zu wenig. Die vielen Experimente zu anderen Wohn-, Arbeits- und Lebensformen sind zu sehr Randphänomene, sie erreichen nicht die breite Masse. Anders ausgedrückt: Wir spielen aktuell in Level 1, einige Projekte spielen in Level 2, 3 oder vielleicht sogar 4. Gut wäre, wenn wir alle in Level 10 spielen würden.

Revolution
Um gegen eine bestehende Ordnung zu rebellieren, schließen sich Menschen zusammen und kämpfen. Ein solches Handeln nennt man "Revolution", was vom französischen Wort für "Umwälzung" kommt (vgl. bpb 2018).

Wir brauchen grundlegend andere Strukturen

Auf der einen Seite gefällt mir diese Haltung. Die Forderung alles radikal neu und anders zu denken, spricht mich an. Was die Theorie angeht stimme ich voll zu. Es reicht nicht, dass wir einen kleinen Schritt machen und uns dann mit Level 2 zufriedengeben. Ein bisschen nachhaltiger ist langfristig nicht genug. Unsere bisherigen Strategien, wie z.B. das Vertrauen auf immerwährendes Wirtschaftswachstum, bringen uns nicht mehr weiter. Wir brauchen Level 10.

"Die gute Nachricht ist: Du bist nicht alleine und du musst nicht die ganze Welt auf einmal verändern."

Ein Ziel ist noch kein Weg

Aber: Ein Ziel ist noch kein Weg. Es reicht nicht nur zu wissen, wie die Welt theoretisch besser wäre. Es reicht nicht theoretisch zu wissen, wie wir leben und arbeiten müssten, damit Gesellschaft und Wirtschaft nachhaltig funktionieren. Als Metapher ausgedrückt: Wenn jemand bislang kaum Sport gemacht hat, dann ist die wichtigste Frage nicht, ob ein Marathon oder ein Iron Man das bessere Ziel ist. Die wichtige Frage ist: Was kann diese Person hier und jetzt tun, um das Ziel zu erreichen?

Was du tun kannst

Die gleiche Frage ist auch für die großen Themen unserer Zeit wichtig: Was kannst du tun? Und welcher Schritt schließt sich dann daran an? Wissenschaftler*innen schaffen theoretische Grundlagen. Das ist ihr Job und eine wichtige Aufgabe. Gleichzeitig brauchen wir Menschen, die diese Gedanken in Handlung übersetzen. Gesellschaftliche Realität entsteht durch das, was wir tun.

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Deine Entscheidung, womit du deine Zeit verbringst (und womit nicht), beeinflusst die Welt in der wir leben

Die gute Nachricht ist: Du bist nicht alleine und du musst nicht die ganze Welt auf einmal verändern. Du kannst mit den Themen anfangen, die dich besonders beschäftigen. Vielleicht ist es Nahrung, vielleicht Kleidung, vielleicht die Themen Kommunikation oder Zusammenarbeit, vielleicht Arbeitsformen, Fluchtursachen, Integration, Naturschutz, Gemeinwohlökonomie, vielleicht etwas ganz anderes. Es ist nicht entscheidend, womit du anfängst. Es ist wichtig, dass du anfängst – und dranbleibst.

Engagement ist der Schlüssel zur Veränderung

Wir müssen uns an neue Lösungen herantasten

Jede Person, die einen neuen Weg geht, also das nächste Level ausprobiert, wird viel lernen. Wenn du anfängst, dich mit einem Thema zu beschäftigen, wirst du andere Menschen kennenlernen, die auf dem selben Weg unterwegs sind. Du wirst immer mehr verstehen, wie unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft aktuell funktionieren. Du wirst immer ausgereiftere Ideen haben, wie der Wandel zu einer ökologischeren, gerechteren Welt funktionieren kann. Natürlich ist es manchmal frustrierend, wenn man eigentlich einen Marathon laufen möchte und jetzt erstmal 20 Minuten am Stück spazieren geht. Aber es gibt keine Abkürzung. Was bedeutet: Entweder du bleibst direkt auf der Couch - oder du machst dich auf den Weg.

Wir brauchen Vormacher, Mitmacher und Nachmacher

Es gab immer wieder Menschen, die vorausgegangen sind. Nicht immer waren es große Taten. Rosa Parks hat sich hingesetzt und damit Geschichte geschrieben. Wir brauchen Menschen, die ganz Neues wagen, die Experimente machen und uns zeigen, wie es anders gehen könnte. Wir brauchen aber auch Menschen, die sich auf diese Experimente einlassen, die mitmachen, die sich zu Gemeinschaften zusammenschließen. Und wir brauchen diejenigen, die gute Ideen erkennen, nachmachen, vielleicht sogar größer machen. Der Weg aus einer Hamsterrad-Karriere in ein selbstorganisiertes Landwirtschaftsprojekt ist weit, aber er ist möglich.

Was ist mit der Revolution?

Brauchen wir also eine Revolution? Ja und nein. Ja, wir brauchen grundsätzlich andere Strukturen. Nein, ich glaube nicht, dass wir sie über Nacht schaffen können. Es gibt keine Abkürzung aus Level 1 zu Level 10.

Um wieder in Bildern zu sprechen: Wir wohnen in einem Haus, das langsam zerbröckelt, zu klein geworden ist, eine ungünstige Raumaufteilung hat. Wir sind mit dem, was an Schönheitsreparaturen möglich war, an unsere Grenzen gestoßen. Wir brauchen etwas Neues. Und natürlich entwerfen wir Fantasien wie das perfekte Haus aussehen würde. Natürlich ist die Idee charmant, dass das alte Haus plötzlich durch ein ganz neues ersetzt wird.

Neues entsteht nicht von alleine

Aber: Das neue Haus entsteht nicht von alleine. Auch der Umzug geschieht nicht von selbst. Und solange das alte Haus nicht völlig zerfällt, werden wir es nicht abreißen. Hannah Arendt schreibt dazu: „Allgemein gesprochen ist eine Revolution gar nicht möglich, wenn die Autorität des Staatswesens intakt ist … Revolutionen sind nicht Ursache, sondern Folge des Verfalls politischer Autorität“. Anders gesagt: Im Großen und Ganzen sind wir als Menschen bequem und mögen Sicherheit. Und das ist völlig ok. Gerade ist nicht der Zeitpunkt für Revolution. Das kann sich ändern, Stichwort Regierungsbildung bzw. Neuwahlen. Wer keine Lust hat darauf zu warten, kann jetzt schon anfangen.

Verändern und nicht warten

Wichtig ist, dass wir unterwegs sind

Was ich damit sagen möchte: Es ist wichtig, dass wir träumen, in welcher Welt wir gerne leben möchten. Wir brauchen große Ziele. Wie würdest du die Welt gestalten, wenn wir noch einmal mit einer grünen Wiese anfangen könnten?

Genauso wichtig ist es, dass wir den Kopf nicht in den Wolken verstecken, sondern die Realität sehen. Was macht dich wütend? Welche Menschen und Projekte machen dir Mut? Welche Spielräume hast du?

Veränderung entsteht, wenn wir etwas verändern – bei uns, in unserem Leben, in unserem Job, in unserer Umgebung. Jede Gewohnheit die du veränderst, hat eine Bedeutung. Wofür möchtest du deine Zeit nutzen?

Es ist nicht entscheidend, womit du anfängst. Es ist wichtig, dass du anfängst.

Danke, dass wir gemeinsam auf dem Weg sind.

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Über die Autorin

Tina Röbel

Tina Röbel ist Coach, Trainerin und Forscherin. Sie glaubt, dass gesellschaftlicher Wandel nur funktioniert, wenn wir den Mut finden, wir selbst zu sein. Mit ihrer Arbeit unterstützt Tina Menschen und Organisationen, die die Welt verbessern wollen. Im Einzelcoaching geht es dabei oft um gute Arbeit und gutes Zeit- und Selbstmanagement. Tina ist Berlinerin und lebt und arbeitet in Hamburg. Mehr zu Tina und ihrem Coachingansatz: www.tinaroebel.de

#OldieButGoldie
Dieser Artikel erschien ursprünglich im Februar 2018.